Mittwoch, 28. Februar 2007

Warten auf Gudu

Gudu, seine Motorrikscha und die Jacob-Geschwister vor dem Taj Mahal.

Eigentlich haben wir nie auf Gudu gewartet, dafuer er zwei Tage auf uns, aber der Titel passte irgendwie ... Gudu ist ein netter Inder, der uns gestern in einer Motorrikscha durch Agra gefahren hat. Agra ist die alte Hauptstadt des Mogulreiches und liegt zwei Schnellzugstunden suedlich von Delhi. Bei der Motorrikscha handelt es sich um eine Art ueberdachtes Dreirad bzw. ein Motorrad mit angebauter Kutschbank, auf der drei Leute geradeso Platz haben (drei Europaer versteht sich, Inder sind i.d.R. zu fuenft oder sechst) Sie ist Haupttransportmittel fuer nicht ganz arme Inder und Rucksacktouristen. Fahrten darin kann man gut mit einer Achterbahnfahrt oder aehnlichem in Disneyland vergleichen, nur dass sich hier alles als erschreckend real erweist. Dafuer ist es deutlich preisguenstiger :-) Der ganze Tag kostete uns inkl. Trinkgeld etwa 7 Euro, allein die Eintritte der Sehenswuerdigkeiten auf dem Weg summierten sich auf das Dreifache (der Eintrittspreis fuer Auslaender bemisst sich je nach Attraktivitate des Objekts aus dem Grundpreis fuer Einheimische multipliziert mit 10 bis 20 - als Volkswirt kann ich nur sagen, dass das wunderbar effizient ist - Preisdifferenzierung 2. Grades wegen praktisch nicht vorhandener Preiselastizitaet der Nachfrage bei den Touristen ...).
Doch zurueck zur Motorrikscha. Die Dinger sind superwendig und koennen sich an jedem fahrenden, laufenden und stehenden Hindernis in Millimeterabstand vorbeischlaengeln - was sie dann auch tun. In Delhi haben wir einen anderen Deutschen getroffen, der eine Fahrt auf Video aufgezeichnet hat. In den naechsten Tagen kommt hoffentlich ein Youtube-Link dazu. Zwar gibt es sporadisch Ampeln oder Verkehrsschilder, aber im Grunde funktioniert der Strassenverkehr nach den Regeln der Skipiste: Stehen bleiben, kreuzen usw. im vernuenftigen (ein dehnbarer Begriff...) Rahmen ist immer erlaubt, man achtet ausschliesslich, aber dafuer staendig, auf das, was vor einem passiert. Das funktioniert, wie auf der Skipiste ja auch, ganz gut, wird aber natuerlich dadurch verkompliziert, dass es Gegenverkeher gibt ... Vorteil 1: Wo keine strengen Regeln, die man verletzten kann, gibts keine Agressionen untereinander wie bei uns, wenn der andere die Regeln bricht. Vorteil 2: Alle Verkehrsteilnehmer nutzen den selben Raum und sind im Prinzip gleichberechtigt, man gewoehnt sich schnell daran, einen heranreasenden Bus zum Anhalten zu bewegn, in dem man einfach die Strasss betritt (Ausnahme: Kuehe haben immer Vorrang!! Nachteil 1: Kein besonders effizientes Vorankommen, da kein echter Verkehrsfluss. Nachteil 2: Man mus staendig hochkonzentriert sein.
Zurueck zu Gudu: Er fuhr uns als von einer Mogulreich-Attraktion zur naechsten (u.a. zum legendaeren Taj Mahal), und auch als wir muede waren und mehrfach betonten, wir wollten nach Hause, fiel ihm noch ein Ort ein, den wir unbedingt gesehen haben muessten. Am Ende gab er zwar nach, war aber ob unserer Ignoranz, nicht alles sehen zu wollen, was er empfiehlt, schon etwas geknickt. Und selbstverstaendlich waren unter den Attraktionen auch einige Kunsthandwerksbetriebe, bei denen man natuerlich etwas kaufen soll. Eine Hand waescht die andere. Uebel genommen haben wir es ihm nicht, sein Verhalten fuer indische Verhaeltnisse vorbildlich. Es verdeutlicht gut, dass der Uebergang von Zuvorkommenheit zu Aufdringlichkeit und von "gut gemeinten Ratschlaegen" zu "uebers Ohr hauen" fliessend ist. In einer Stunde wird er sicher vor dem Hotel wieder auf uns warten und zu einer neuen Tour ueberreden wollen. Aber erstens wollen wir heute auf den Wiesen des Taj Mahal einfach mal nur ausspannen und zweitens fand heute die indische Mikrooganismenpopulation ihr erstes Opfer. Clara hat ihr gestriges Abendessen in die falsche Richtung entleert und wird von leichten Magenkraempfen geplagt. Eigentlich sind wir darauf ja geistig vorbereitet und wissen, dass es jeden frueher oder spaeter mal mit einigen Problemen dieser Art ereilen wird, aber der Umgang damit ist trotzdem nicht einfach. Ploetzlich vermisst man solche profanen Dinge wie reissfeste Plastiktueten, die es hier einfach nicht zu geben scheint. Ausserdem haben wir fuer heute Abend einen Nachtzug nach Jodhpur gebucht, den wir ungern fahren lassen wollen. Mal sehen, dem Schwesterherz geht es nach juengsten Verlautbarungen schon wieder etwas besser.


beim Fruehstueck auf der Hotelterrasse :-)

Lost in Translation


Angekommen! Aber was nun?
Obwohl davon in Reisefuehrern dringend abgeraten wird, gingen wir aus einer Mischung aus "wir sind ja informiert" und "so schlimm wirds schon nicht sein", auf das guenstige Angebot einen der zahlreichen sich vor dem Flughafen herumdrueckenden "Taxifahrer" ein. Er bestaetigte wortreich unseren Wunsch, uns zum Bahnhof zu fahren, von wo aus unsere Reisebibel namens Lonely Planet eine aussichtsreiche Quartiersuche versprach. Nach einigen Minuten Fahrt war man ins Gespraech gekommen, so dass uns der Fahrer zweifelsfrei als naive Touristen identifiziert zu haben glaubte. Selbstverstaendlich waere der Bahnhof eine ganz schlechte Idee, er kenne da eine vertrauenswuerdige "staatlich anerkannte" Touristeninformation, wo es vieeeel guenstigere Tickets gaebe und gleich ein Hotel dazu. Wir bestanden natuerlich auf dem Bahnhof, was unseren hilfsbereiten Freund ueberhaupt nicht zu interessieren schien. Nach laengeren Diskusionen uebergab er uns schliesslich mit diversen Ausreden (er wisse nicht, wo der Bahnhof sei, dort waeen keine Autos zugelassen !!!) einer Autorikscha, die uns, ebenso nach einigen ablenkenden, aber weniger penetranten Ueberredungsversuchen, zum Bahnhof brachte. Dort wiederum versuchten gleich wieder zwei seeeehr hilfsbereite Inder, uns zum jeweils "richtigen" Ticketschalter zu lotsen, die selbstverstaendlich in unterschieldichen Richtungen lagen und auf keinen Fall dort, wo sich das tataechliche Touristenbuero befand. Mit etwas Diskussionsfreude und Seelenruhe laesst sich das ganz gut ertragen. Am Ende sind das alles keine Verbrecher, die einene ausrauben oder zum anderen Ende der Stadt fahren, sondern einfach kleine Gauner, die ausnutzen wollen, dass man sich nicht auskennt, indem sie einen zu Buchungsbueros und Hotels fahren, von denen sie Provisionen kassieren. Erstaunlich ist schon das arg gespaltene Verhaeltnis zur Wahrheit, was im (Geschaefts)Alltag offanbar als voellig normal vorausgsetzt wird. Dass zwei sich gegenueber stehende Inder stocksteif Gegenteiliges behaupten, oder muendliche Zusagen 10min spaeter ueberhaupt nichts mehr zaehlen, macht sie aus unserer Sicht zu Luegnern und alles andere als vertrauenswuerdig. Noch erstaunlicher ist, dass sie es schaffen, einem ein schlechtes Gewissen dafuer einzureden, dass man nicht will, was sie einem vorschlagen und eigene Wuensche hat. Man ist sozusagen selber schuld, wenn man auf ihre Vorschlaege nicht eingeht, womit wahrscheinlich auch die Verpflichtung zu Aufrichtigkeit und Leistungserbringung erlischt. Man redet einfach in einer unterschiedlichen Sprache miteinander, jede Aussage wird noch einmal inhaltlich uebersetzt. Aus "ich will zum Bahnhof" und "Ich bin neu in Delhi" wird dann also unfreiwllig "bitte bring mich zu einem ort, wo ich Bahntickets kaufen kann"
Unsere erste Indien/Episode verdeutlicht exemplarisch, dass Worte einfach nichts zaehlen. Auf jede Bitte oder Anfrage kommt erst einmal "yes" and "no problem". Ob man dann an sein Ziel gelangt, die Apoteheke wirklich um die Ecke ist, das Zimmer wirklich Warmwasser hat oder das Essen frisch zubereitet ist, steht in den Sternen. Man hat gar keine andere Wahl, als bei allem erst einmal skeptisch zu sein und Blicken auf der Strasse (von potentiellen Geschaeftemachern und Gaunern) auszuweichen, auch wenn man damit vielen Indern (vermutlich sogar der Mehrheit) Unrecht tut. Die meisten sind naemlich freundlich, zuvorkommend UND noch ehrlich und hilfsbereit dazu.

Sieben Wochen in Indien

Liebe an unserem Indienschicksal Interessierten,
bisher bin ich kein Fan der Blog-Kultur gewesen, aber am Ende haben doch die praktischen Gruende - (schwacher) Ersatz fuer das sonst eh nie zuverlassig geschriebene Reisetagebuch, Vermeidung von andauerernden pauschalen Massenmails, Individualisierung des Leseverhaltens, eventuell sogar Hochladen von netten Fotos) ueber die ideologischen Argumente triumphiert. Ich weiss noch nicht, wie regelmaessig ich auf diesem Wege unsere Erlebnisse kundtun werde, laengere Fnkstillen seien gleich vorab entschuldigt (schliesslich gibt es angenehmeres, als bei sommerlichen Temperaturen in einem spannenden&unbekannten Land seine Tage im Internet-Cafe zu fristen). Zumindest fange ich aber mal damit an, schliesslich sind wir nun schon den vierten Tag im Lande und haben das Gefuehl, dass sich Berichtenswertes von mehreren Reisewochen angesammelt hat.

die Reisegesellschaft,
fuer nicht ganz Eingeweihte: rechts meine Schwester Clara, in der Mitte unsere Freundin Maria