Freitag, 13. April 2007

Reisestatistik

Ich liebe Zahlen, also auch hier noch einige und noch etwas mehr, gewissermassen die Sedimente der sich in den letzten Tagen haeufenden sentimentalen Rueckblicke auf die vergangenen Wochen.

50 Tage unterwegs (viel zu wenig...)
45 Naechte in Hotels (hm , doch schoen wieder nach Hause zu kommen)
an 23 verschiedenen Orten
in 10 Bundesstaaten (von 28!)
3 Naechte im Zug
6 weitere Zugfahrten
in 46 Stunden (das ist gerademal eine Fahrt von der Suedspitze Indiens nach Delhi)
stattdessen lieber 4 Inlandsfluege (lieber teuer reisen im billigen Land als umgekehrt, Schatten der Zukunft?)
aber auch 11 Ueberland-Busfahrten
in 37 Stunden (laecherlich wenig fuer einen durchschnittlichen Traveller)
3 Tage im Auto
18 h Fahrt
und dann noch:
2 Bootsfahrten
1 Jeepsafari
1 Elefantenritt
1 Kamelritt
der kuerzeste Aufenthalt: Coimbatore, 9h
der laengste Aufenthalt: Colva Beach, 5 Tage
das guenstigste (vollwertige) Essen: 50 Cent
das teuerste: 8 Euro
der groesste (aber nicht lauteste!) Ort: Mumbai, 18 Millionen
der kleinste (und ruhigste!) Ort: die Ehre teilen sich Colva und Dalhousie (jeweils 10000 Einwohner, also quasi Doerfer)
der hoechste Punkt: namenloser Berg bei Dalhousie, 2700m (jaja, ist nicht so doll im Schatten von Achttausendern)
der niedrigste Punkt: ist zu unkreativ, spare ich mir
der waermste Ort: Delhi eben gerade, 36 Grad
der gefuehlt waermste Ort: Allepey, 32 Grad, >90% Luftfeuchte (wen das zu gefuehlt erscheint, siehe Wikipedia: Humidex)
der kuehlste Ort: Dalhousie, 18Grad
der stressigste Moment: im Stau auf dem Weg zum Flughafen vor dem (zufaellig) rettenden Motorrad-Taxi
der erholsamste Moment: allein am Ufer eine rauschenden Gebirgsbaches 2h von der naechsten Spur der Zivilisation entfernt
der ruhigste Moment: im Jain-Tempel von Ranakpur kurz vor Schliessung
der selbstverlorendste Moment (was man so alles steigern kann...): am Seeufer im Goldenen Tempel von Amritsar
der geniesserischste Moment: Sonnenuntergang im Strandrestaurant in Colva, dazu das erste Bier nach Wochen und King Crabs
der erhabendste Moment: der sich oeffnende Blick aufs Taj Mahal (was sonst?)
der schoenste Moment: Sonnenuntergang am Strand von Allepey am letzten Abend zu dritt
der einsamste Moment: das erste Abendessen allein in Cochi
der gefaehrlichste Moment: 5 Meter quasi senkrechten Abhang herunterrutschen in McLeodGanj (nix da mit Ueberfaellen oder so)
der indischste Moment: jain-kompatibles vegetarisches Essen zu fuenft ohne Besteck in Ooty
der albernste Moment: diese Liste zu erstellen, daher:
der Schluss.
Schoen war's und danke fuer's Mitlesen.

Worauf ich mich schon freue

Muell, der an den dafuer vorgesehenen lokalen Sammelstellen abgelegt wird.

Schwarzbrot mit Wurst und Kaese.

Busfahrplaene.

Wirklich saubere Waesche.

Die Luft nach dem Regen.

Ehrliche Antworten.

Mein Bett.

Die Frau darin.

Was ich nicht vermissen werde

Servicepersonal an Bahnhoefen, Postschaltern oder auch in privaten Laeden, denen die Belange des Kunden voellig egal zu sein scheinen.

Ungenaue oder grundfalsche Auskuenfte von Passanten oder noch aergerlicher, von eigentlich eben fuer diese Auskuenfte kompetenten Servicepersonal, nur um nicht sagen zu muessen "weiss ich nicht".

Die Unsensibilitaet gegenueber akustischen Belaestigungen.

Vordraengeln, Fenster im Bus oeffnen, fremde Taschen umraeumen oder ueber Menschen klettern, ohne die Betroffenen zu fragen, ob sie vielleicht etwas dagegen haben.

Die vielen ungewollten Freundschaften auf der Strasse ("Come her my friend, only looking, which country?, whats your name?")

Toiletten ohne Papier.

Stromausfaelle.

Was ich vermissen werde

Staedte, in denen man innerhalb von fuenf Fussminuten, von 7 bis 23 Uhr Mo-So, alle Waren des taeglichen Bedarfs vorfindet, insbesondere Trinkwasser, Obst und Knabbereien.

Selbiges auch garantiert an jedem Busbahnhof.

Mitmenschen, welche die kleinen und grossen Nerventoeter des Alltags wie Verspaetungen, Staus, nicht verfuegbare Elemente auf Speisekarten, nicht klebende Briefmarken, wild kreuzende Busse und LKWs usw. mit Gemuetsruhe ertragen.

Busse, die halten wenn jemand zu- oder aussteigen will, nicht an komischen mit "H" beschrifteten Schildern

Sich morgens (oder gern auch spaet abends) beim Barbier um die Ecke fuer 30Cent rasieren zu lassen.

Frisch gepresste Fruchtsaefte.

Das indische Essen, ganz allgemein.

Das Preisniveau.

Dachterrassen.

Die Sonne.

Arm und Reich

So, kurz vor Abreise gibts noch einmal eine Post-Kaskade (Einkaeufe groesstenteils erledigt, Mittagszeit in Delhi nur an gut beluefteten Orten ertraeglich). Die folgenden Ausfuehrungen sind nur fuer wirklich Neugierige gedacht. Am ehesten werden wohl diejenigen damit klarkommen, welche schon persoenliche Erfahrungen mit dem mitunter etwas seltsam erscheinenden Argumentationsstil der Oekonomen im allgemeinen und meinen schriftlichen und muendlichen Eroerterungen zu diversen Themen im besonderen gesammelt haben.

In diesem an vielem so reichen und doch materiell so armen Land stellt sich der herumreisende Volkswirt (vielleicht nicht nur der) die Frage, warum denn Indien im Laufe der Jahrhunderte nicht den selben Wohlstand geschaffen hat wie Europa oder nicht zumindest alle Menschen ein sicheres und wuerdiges Ueberleben sichern kann. Gern wird auf die koloniale Vergangenheit verwiesen (schamlose Ausbeutung hinterliess bleibende Wunden?) oder klimatische Argumente erdacht (zu heiss zum harten Arbeiten?), was aber wohl zu kurz greift.

Ausgehend von meinen Beobachtungen will ich, ohne Anspruch auf Exaktheit und Vollstaendigkeit, auf vier fuer die Wohlstandsunterschiede zwischen der westlichen Welt und Indien verantwortliche Gruende eingehen: Bevoelkerung, Bildung, Organisation und Kapital

Bevoelkerung: Indien hat mittlerweile 1 Milliarde Einwohner und die Bevoelkerung waechst weiter. Das Durchschnittsalter der Bevoelkerung betraegt 24 (also Clara, auch du gehoerst naechstes Jahr zum altes Eisen!) Das hoert sich erfreulich an, gerade angesichts unserer demographischen Sorgen (schliesslich gibt es jede Menge junge Arbeitskraefte, die z.B. Mittelstaendlern hier eine Rente mit 55 ermoeglichen), bringt aber schwerwiegende Probleme mit sich. Mehr Menschen muessen erst einmal ernaehrt werden. Indien befindet sich gewissermassen in der malthusianischen Falle. Der umstrittene Bevoelkerungsforscher Malthus postulierte Anfang des 19. Jahrhunderts grob gesagt, dass die Menschheit zum ewigen Elend verdammt sei. Wenn genuegend Nahrungsmittel vorhanden sind, bekommen die Leute mehr Kinder, bis es wegen der wachsenden Bevoelkerung zu Nahrungsmittelknappheit kommt. Dann sterben "ein paar" durch Kriege, Epidemien oder Hungersnoete und der Kreislauf beginnt von vorn. Indien als sehr fruchtbares Land wird so wie viele Entwicklungslaender quasi Opfer seiner eigenen Erfolge bei Nahrungsmittelproduktion, Erschliessung des Landes und medizinischer Versorgung. Der Kuchen wird groesser, aber die einzelnen Stuecke kaum. Ein Ausbruch aus dem malthusianischen Teufelskreis ist schwierig, aber moeglich und der westlichen Welt ja auch Ende des 19. Jahrhunderts geglueckt. Doch dazu spaeter noch.

Eine Milliarde sich weiter munter vermehrende Inder verbrauchen ausserdem mehr Ressourcen als nachwachsen. Da es haeufig aufs nackte Ueberleben ankommt, wird auf so etwas wie Nachhaltigkeit (damit tun ja selbst wir wohlhabende Europaeer uns ungeheuer schwer) ueberhaupt keinen Wert gelegt. Die Trinkwasserquantitaet und -qualitaet nimmt stetig ab, Waelder werden abgeholzt, was zu Erosion, Bodenverschlechterung und erhoehtem Duerrerisiko fuehrt, Abgasreinigung ist ein Fremdwort, Muell wird zum grossen Teil einfach auf die Strasse geworfen usw. (selbst, wenn man als sensibilierter Europaeer letzteres nicht tut, bleibt doch fraglich, wie das Hotel mit den 2 leeren Trinkwasserplasteflaschen pro Tag verfaehrt...) Auch wenn das heute bequem oder mitunter ueberlebensnotwendig erscheint, werden dadurch Lebensraeume und Ressourcen zerstoert oder, oekonomisch gesprochen, es wird eine implizite oekologische Schuld aufgebaut, deren Zinsen die naechste Generation zahlt und welche die kuenftige Entwicklung des Landes verteuert.

Bildung: Dass Bildung eine entscheidende Rolle in der Wohlstandsentwicklung spielt, steht ausser Frage (ausfuehrlichere theoretische und empirische Ausfuehrungen dazu sehr gern auf Anfrage :-) ). Weniger offensichtlich ist vielleicht, dass Bildung auch zu einer niedrigeren Kinderzahl beitraegt, erstens weil der Wert von Bildung den Wert von Kindern erhoeht (lieber zwei gebildete Kinder als zehn dumme - jaja, ich hoere schon die Stimmen "aber Kinder bekommt man doch nicht aus oekonomischen Gruenden" - was kann ich dafuer, dass diese Theorie gesamtgesellschaftlich dennoch ganz gut stimmt?) und zweitens gebildete und emanzipierte Frauen weniger Kinder bekommen. Hier zeigt sich, dass die vier Punkte (und sicher noch einige mehr) alle irgendwie zusammenhaengen, was dramatische Pfadabhaengigkeiten und selbstverstarkende Effekte bedingt, die zu den enormen weltweiten Wohlfahrtsunterschieden beitragen.

Indien wird zwar gern als aufstrebendes Technologieland mit haufenweise Top-Informatikern etc. dargestellt. Im Vergleich mit anderen Entwicklungslaender mag das stimmen, absolut gesehen aber ist das vernachlaessigbar. In der IT-Branche arbeiten ingesamt weniger als 1 Million Menschen, inkl. Annexen wie Call Centern etc. Es gibt immernoch mindestens 35% Analphabeten, nur 6% der Kinder absolvieren die 12.Klasse. Die bedrueckend hohe Anzahl an (kostenpflichtigen) Privatschulen, die mir hier ueber den Weg gelaufen sind (oder eher ich ihnen ...) laesst zudem vermuten, dass es um die Qualitaet der staatlichen Schulen nicht zum besten steht. Im Alltag hier sind mir die im Schnitt schlechten Rechenfaehigkeiten und relativ schlechten Englisch-Kenntnisse der Bevoelkerung aufgefallen. Schlechtes Englisch in Relation dazu, dass es einzige Geschaeftssprache und "dank" der Kolonialzeit die Lingua franca Indiens ist bzw. sein sollte. Viele Formulare und Anzeigen, von den Erzeugnissen der modernen Konsumgesellschaft ganz zu schweigen, gibt es nur auf englisch.

Das insgesamt niedrige Bildungsniveau fuehrt zwangslaeufig dazu, dass viele Inder nur einfachen und vergleichsweise unproduktiven Taetigkeiten nachgehen koennen. Hier faellt auf, wie oft Leute einfach nur augenfaellig rumsitzen und nichtstun (Querverweis zu Punkt 3: Organisation!). D.h. sie tun schon etwas, aber in einer Intensitaet und Qualitaet, die uns eine schnelllebig-stressige Arbeitswelt Gewoehnten mitunter wie Nichtstun vorkommt. So haben etwas westlicher angehauchte und teurere Laeden fast immer "Sicherheitspersonal", deren einzige wirkliche Aufgabe das Türöffnen ist. Am Bahnhof sitzen neben dem auch schon unterbeschaeftigten Assistant Station Supervisor noch vier unterbeschaeftigtere Sub-Supervisors. Rikscha-Fahrer verbringen mangels ausreichender Kundschaft oder Ehrgeizes schaetzungsweise drei Viertel ihres Tages mit Doesen und Schwatzen. In den meisten Tante-Emma-Laeden, die es hier zu abertausenden gibt, finden sich drei bis vier Leute (Familienangehoerige, Angestellte...), obgleich offensichtlich gerade mal eine Arbeitskraft (wenn ueberhaupt) durchgehend beschaeftigt ist. Diese Leute arbeiten dann auch 12h am Tag, 6 Tage die Woche. Nur muss man sich ueber die gesamtgesellschaftliche Produktivitaet nicht wundern.

Nun liegt der zivilisationskritische Einwand nahe, dass Produktivitaet nicht alles ist und unsere Gesellschaft an zu viel Produkitivitaet leidet, einhergehend mit sozialer Kaelte, Stress und Burnout-Syndromen. Tatseachlich ist dieser Hang des kapitalistischen Systems, im Namen immer billigerer, neuerer und vielseitigerer Produkte, deren Nutzen fraglich scheint und auf die doch keiner verzichten will, immer mehr vom Menschen zu fordern, und das ganze noch auf eine dezentral-anonyme Weise (nix da mit Weltverschwoerung des Kapitals bitte, liebe aeltere Generation), so dass man niemanden wirklich zur Verantwortung ziehen kann, eines der groessten philosophischen Probleme der liberalen Welt. Aber erstens fuehrt das hier zu weit und zweitens gestatte ich mir, derartige Einwaende (dass Produktivitaet nicht alles ist), in einem Land, in dem die Haelfte der Bevoelkerung unter der Armutsgrenze lebt, als etwas makaber abzukanzeln. Aus dem selben Grund halte ich auch sozialromantische Einwuerfe der Art "ist doch schoen mit den vielen kleinen Laeden oder dass man persoenlich bedient und angesprochen wird statt alles in SB und ueber Automaten zu erledigen" fuer ziemlich unpassend.

(Exkurs, der problemlos uebersprungen werden kann: Wie ueberhaupt Volkswirte es unverstaendlich finden, wenn man ihnen vorwirft, sie seien nur vom Geld und Eigennutz getrieben oder saehen zumindest die Welt nur aus diesem Blickwinkel. Oekonomen beschaeftigen sich mit der empirischen Analyse der Welt, wie sie ist, und nicht, wie wir sie gerne haetten. Sie laesst sich an ihrem empirischen Erfolg messen, nicht an ihrer normativen Erwuenschtheit. Deshalb finden wir obige Kritik ebenso anmassend wie die Behauptung, wir lebten in einer Gesellschaft mit unnoetig vielen Guetern, weniger waere mehr etc. Wer kann fuer sich in Anspruch nehmen, das entscheiden zu koennen? Welche andere humane Moeglichkeit der Entscheidung haben wir, als die, zugegebenermassen recht unvollkommene, demokratische, die sich im Massenkonsum manifestiert?)

Zurueck zum Thema: Viele Inder beschaeftigen sich mit qualitativ und quantitativ unproduktiven Taetigkeiten, zum einen vielleicht, weil sie eine Praeferenz fuer ein etwas ruhigeres und stressfreieres Leben haben moegen (obgleich sich solche Argumente meist nur sehr schwer belegen lassen) und zum anderen sicherlich, weil ihr Bildungsniveau nicht mehr zulaesst. Im Ergbnis geht der Ladenbesitzer eben mit 2 bis 3 Euro Tagesverdienst nach Hause und ernaehrt davon seine Familie. Man kann es so oder so sehen: Bei uns gibt es nicht deswegen nur noch so wenige Tante-Emma-Läden und Bauern mit eigenem Hof, weil sie kein Ueberleben ermoeglichten (zumindest für die Bauern muss das schon deshalb Bloedsinn sein, weil ein Feld viel mehr Ertrag bringt als vor 200 Jahren und da gings auch irgendwie), sondern weil ihre Besitzer ganz kuehl-oekonomisch lukrativere Beschaeftigungsmoeglichkeiten vorziehen (die es in Indien nicht gibt). Die Volkswirte sagen dazu auch, dass die Opportunitaetskosten  unproduktiver (relativ gesehen) oder gewissermassen sozialromantischer Taetigkeiten zu hoch sind. In Indien sind sie das nicht.

Organisation: Ebenfalls eine Rolle fuer die Produktivitaet spielt, dass vieles im Alltag einfach erschreckend schlecht organisiert ist. Das haengt sicherlich mit dem Bildungsniveau (nicht wissen, dass es auch anders geht), den fuer Infrastruktur etc. zur Verfuegung stehenden Mitteln (siehe Kapital) sowie mit Mentalitaet und Wertesystem zusammen. Letztere lassen sich als Ursachen oder Wirkunsgfaktoren schwer isolieren, zumal sie sich definitiv aendern, wenn sich die gesellschaftlichen oder oekonomischen Voraussetzungen aendern. Zum Beispiel werden Ehen weltweit zunehmend dann aus Liebe und nicht aus Kalkuel geschlossen (und auch oefter geschieden!), wenn ein Land wohlhabender wird, weil dies die materielle Daseinsvorsorge kollektiviert und die Familie zu einer gefuehlsbasierten statt oekonomisch basierten Einheit wird. So viel zum Thema inhumaner Kapitalismus :-)

Hier kann man jedenfalls beobachten, dass viele Inder, sei es wegen ihrer Bildung oder ihrer Mentalitaet oder einer Kombination daraus, viel weniger ueber ihren eigenen Tellerrand schauen. Mit (gerade mir...) faellt enorm auf, dass die Frage "Warum" quasi nicht existiert. Wie oft wurde ich unglaeubig angestarrt, wenn ich wissen wollte, warum bitte etwas passiert, z.B. ein Bus nicht kommt oder was auch immer. Fast nichts wird hinterfragt, alles so hingenommen wie es ist. Das mag das Leben haeufig leichter ertraeglich machen, verhindert aber auch Verbesserungen von unten, von denen eine Gesellschaft lebt. Die Angestellten im Touristeninformationszentrum wissen nicht, wann wohin Busse fahren und wollen das auch gar nicht wissen (fragt sich, was sonst?), mit der legendaer aberwitzigen Buerokratie musste ich zum Glueck nur wenige Erfahrungen sammeln. Die Leute nehmen auf der Strasse keine Ruecksicht aufeinander und stroemen augenblicklich in die geradezum Halt gekommene S-Bahn, auch wenn viele andere aussteigen wollen usw. Beides erhoeht die Gesamtzeit auf Strasse und Schiene unnoetig.

Solche Erfahrungen fuehren zu der - angesichts beklagter zunehmender Anonymitaet und Ruecksichtlosigkeit in der Gesellschaft eher kontraintuitiven - Feststellung, dass wir in der westlichen Welt ein ganz beachtliches Sozialverhalten haben. In vielen Situationen, in denen wir uns durch ignorantes Verhalten besser stellen koennten, beachten wir soziale bzw. moralische Konventionen und ermoeglicht so der Gesamtheit ein besseres Vorankommen (das untersucht die sogenannte Spieltheorie oder die Geschichte der Evolution der Kooperation - auch hierzu gern auf Anfrage mehr...). Nun sind die Inder gewiss keine unsozialen unmoralischen Ungeheuer, nur haben sie einige wirtschaftlich vorteilhafte soziale Verhaltensweisen nicht oder noch nicht ausgebildet. Dafuer hat die Familie und das Miteinanderauskommen eine viel groessere Bedeutung - was aber eben auch Vetternwirtschaft und Bestechung beguenstigt.

In vielem koennten es sich die Inder einfach viel leichter machen, indem sie mal eine Minute nachdenken, warum sie Dinge wie tun und/oder wenn es eine Autoritaet gibt, die organisatorische Aenderungen durchsetzen kann. Noch zwei Beispiele dazu: Ich habe vor zwei Wochen fast mein Flugzeug verpasst, weil es auf der Strasse zum Flughafen scheinbar spontan zum Stau kam. Es bewegte sich quasi gar nichts mehr. Grund: eine Strassenseite war wegen Bauarbeiten auf 200m Laenge gesperrt und niemand hatte sich die Muehe gemacht, den Verkehr aus der einen und dann der anderen Richtung durch die Engstelle zu lotsen (von Ampeln will ja gar keiner reden). Also versuchten sich Busse und LKWs auf einer Spur aneinander vorbeizuzwaengen - mit wenig verwunderlichen Konsequenzen fuer den Verkehrsfluss. Ich erreichte den Flughafen uebigens durch aeusserst unsoziales Verhalten, naemlich den Umstieg auf ein Motorrad-Taxi, das sich durch den Stau mogelte - als Sozius mit zwei Rucksaecken mit 70 ueber die Landstrasse - war toll!

Zweitens sind in Indien wie in vielen Entwicklungslaendern Stromausfaelle auf der Tagesordnung. Jedes vernuenftige Hotel, teilweise sogar kleine Souvenirgeschaefte, haben ihr eigenes Notstromaggegat. Nun bin ich kein Elektroenergie-Experte (es sei auf meine Ex-Mitbewohner verwiesen), aber ich bin ziemlich sicher, dass dies gesamtgesellschaftlich wesentlich teurer kommt als eine leistungsfaehigere zentrale Stromversorgung sicherzustellen.

Kapital: Organisatorische Maengel lassen sich haeufig auch mit dem schieren Mangel an Ressourcen erklaeren. Eine leistungsfaehige Stromversorgung muss ebenso wie Ampeln oder gute Schulen erst einmal finanziert werden. Zum einen koennen die Menschen hart arbeiten, um auf einen gruenen Zweig zu kommen, zum anderen koennen sie von einem im Laufe der Jahre aufgebauten Kapitalstock profitieren. Dieser erhoeht z.B. ueber hoehere Zahl an Maschinen und Automatisierung die Produktivitaet der Arbeit. Wem die Rendite des Kapitals direkt zufliesst, ist erst einmal zweitrangig (ein politisches Verteilungs-, kein oekonomisches Allokationsproblem, wie Volkswirte, sich etwas ungezogen aus der Affaere ziehend, gern zu sagen pflegen). Fest steht, dass die ganze Gesellschaft von einem hohen Kapitalstock profitiert, weil dessen Ertraege Investitionen ermoeglichen, Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Segnungen des Sozialstaats. Indien ist nun bei weitem nicht mit der Menge an Kapital ausgestattet wie die westliche Welt. Kapitalbildung ist ein sich segensreich oder unheilvoll, wie man es sehen moechte, selbstverstaerkender Prozes - wie man beim Blick auf die westliche Welt einerseits und auf die ungleiche Reichtumsanhaeufung innerhalb derselben andererseits unschwer erkennt. Nicht alles laesst sich aber auf den boesen Westen und dessen bessere Ausgangsbedingungen oder anhaltende Ausbeutertaetigkeit schieben. Manche Gruende sind hausgemacht. So gehen mangelnde Eigentumsrechte (es gibt keinen Grundbucheintrag fuer die Slum-Huette) mit Kapitalknappheit einher (der Huettenbesitzer erhaelt keinen Kredit fuer seinen kleinen Laden, weil er ein Haus ohne Rechtsstatus nicht mit einer Hypothek belasten kann).

Auch wenn diese Erguesse sicher nicht vollstaendig und schon gar nicht wissenschaftlich sind, zeigen sie doch hoffentlich, dass die Wohlstandsunterschiede auf dieser Welt kein Mysterium darstellen. Viel schleierhafter ist mir, wie wir langfristig mit diesen Unterschieden umgehen koennen und wollen. Denn 6 Milliarden oder mehr Menschen, die auf dem Wohlstandsniveau und mit dem Resourcenverbrauch leben, wie wir das tun, wird unser Planet ganz sicher nicht aushalten.

Mittwoch, 11. April 2007

Bildergalerie IV

1 Eine wirklich notwendige Warnung, aber leider an nicht gerade gut sichtbarer Stelle angebracht

2 der Bahai-Tempel in Form einer Lotosbluete in Delhi

3+4 Der Goldene Tempel der Sikhs in Amritsar

5 bei Dalhousie, im Hintergrund das Hotel :-)

6+7 in den Bergen (ach so...)





Dienstag, 10. April 2007

Little Tibet

Es sieht so aus, als verkuerzte sich die Frequenz meiner Eintraege mit dem nahenden Ende der Reise. Vielleicht haengt das aber auch mit der Verfuegbarkeit von Internet-Cafes (sprachlich doch witzig, dass die noch so heissen, obwohl die wenigsten Getraenke servieren und die Originale die vielleicht ersten Opfer des Internet-Booms waren) und der dadurch von einem Ort indirekt nahegelegten Beschaeftigungsangebote zusammen. In diesem Falle waere meine Schreibwut hier nur adaequat...

Eine eigentlich unbeschreibliche, wenn aber doch, dann am ehesten halsbrecherisch zu nennende Busfahrt brachte mich gestern ins naechste Tal: 40km Luftlinie und 160km Wegstrecke entfernt. Der anscheinend lebensmuede Fahrer begeisterte u.a. mit Ueberholmanoevern von PKWs auf schmaler Holperstrecke bei gefuehlten 2cm Abstand zur 100m tiefen Schlucht (Leitplanken sind doch was fuer Bergaufbremser!). Gluecklicherweise habe ich einen grossen Teil der Strecke vor mich hin gedeost oder geschlafen. Dass der Busfahrer bei laengeren Stops im Halbstundentakt mit unidentifizierbaren Werkzeug unter den Bus krabbelte und unsichtbar kopfschuettelnd wieder hervorkam, erhoehte das Vertrauen auf ein sicheres Ankommen nicht gerade, aber wie so haeufig, sind wir Zivilisationsverweohnte einfach zu empfindlich. Selbstverstaendlich bin ich heil in McLeod Ganj angekommen, einem Bergort, der aber ausser der geographischen Lage mit Dalhousie rein gar nichts gemein hat.

McLeodGanj war ein verschlafenes Nest, bis 1960 dem Dalai Lama auf der Flucht vor den chinesischen Besatzern (nach Ueberquerung des Himalaya zu Fuss!) hier Asyl gewaehrt wurde. Es folgte eine stetiger Fluss tibetischer Fluechtlinge und ein paar Jahe spaeter ein noch stetigerer Touristenstrom. So scheint der Ort nach meinem ersten Eindruck ausschliesslich aus Hotels, Restaurants, Reisebueros, Souvenirgeschaeften, Shops mit Mars-Riegeln und Nivea-Cremes, Yoga-Schulen, Videohallen (!!) und Internet-Cafes zu bestehen. Die vermeintliche verschlafenen Bergdoerfer, die ich dem ganzen Tumult entfliehend auf meiner heutigen Wanderung in die Umgebung zu erkunden trachtete, entpuppten sich als verwechselbare Kopien des Hauptortes im Kleinformat. Nicht dass ich dies alles verdammte, schliesslich nutze ich diese Infrastruktur auch gebuehrend (siehe Anfang), aber in dieser puren Touri-Hochburg-Form habe ich das bisher in Indien nicht erlebt und war gerade nach den Tagen in Amritsar und Dalhousie spontan etwas abgestossen. Was das ganze am Ende aber doch ertraeglich und besonders macht, ist neben der malerischen Umgebung das Tibet-Flair: buddhistische Tempel (die Weltreligion fehlte mir noch auf der Reise!), kahlrasierte Moenche in ihren gelben und roten Gewaendern sowie eine sehr freundliche, unaufdringliche Atmosphaere - ganz so wie es der eigenen romantisch-rudimentaeren Tibet-Vorstellung entspricht.

Die Unmengen Westler, die sich hierher einfinden, kann man in drei Gruppen einordnen. Die Durchgeknallten, die Weltverbesserer und die Gaffer. Oder etwas weniger im BILD-Stil formuliert: erstens meist an ihrer gewollt oestlichen Kleidung oder ihrem Habitus zu Erkennende Langzeit-Urlauber oder Aussteiger, die sich hier im Gefolge des geistigen Oberhauptes der Tibeter im Meditieren oder Yoga lernen ueben; zweitens junge politische oder soziale Idealisten, die tibetischen Fluechtlingen helfen oder auf welche Art auch immer die Unabhaengigkeitsbewegung unterstuetzen; und drittens Menschen aller Altersgruppen und Nationalitaeten, die nicht so richtig wissen, was sie hier sollen, aber die ganze Tibet-Action (Zitat Lonely Planet) mal aus der Naehe gesehen haben wollen. Zu letzteren darf ich mich wohl zaehlen, habe den Abstecher auch nicht bereut und werde mich doch morgen Abend, ohne zu bedauern, hier keinen Langzeitaufenthalt eingeplant zu haben, auf den Rueckweg nach Delhi begeben.

Montag, 9. April 2007

Zwei indische Stunden

Der zweite Eindruck des Bergortes Dalhousie bestaetigte den ersten: ein allgemein erreichbarkeits- und speziell nebensaisonbedingtes ruhiges Plaetzchen mit europaeischem Klima, das mich des Abends erstmals auf meiner Reise zum Ueberwerfen saemtlicher Schichten zwang und die erste warme Dusche seit vier Wochen geniessen liess. Dazu Kurortatmosphaere durch kleine Pavillons am Strassenrand und eher gesetzte Klientel, Sauberkeit dank funktionierender Muellentsorgung und eine wunderschoene Umgebung. An zwei Tagen habe ich wandernd ebendiese erkundet. Am ersten Tag war ich mit dem sehr netten Boy des Hotels (und gleichzeitigem Trekking Guide) namens Ganesh unterwegs. Wir sind immerhin 25km durch die Natur gestapft, was mir dem Wandern fast Entwoehnter weniger ausgemacht hat als ich gedacht haette.

Die Tour war einmal mehr nicht nur ein landschaftlich-naturgeniesserisches, sondern auch ein interkulturelles Erlebnis. Zum einen ist es beeindruckend, wie selbstverstaendlich wir die Segnungen der Zivilisation nutzen bzw. sie geradewegs unentbehrlich finden. Waehrend ich mich mit den mir am notwendigsten erscheinenden Dingen auf den Weg begab (Mittagsimbiss, 2l Wasser, Pulli, Sonnencreme, Kamera usw.), hatte Ganesh schlicht gar nichts dabei und hat den ganzen Tag ausser einem widerwillig angenommenen Keks auch nichts gegessen. Ja, das geht.

Zum anderen meinte Ganesh am Nachmittag mit schon einigen Kilometern in den Beinen, wir koennten, bevor wir uns auf den Rueckweg begaeben, schnell noch einen kleinen Abstecher zu einem sehenswerten Fleckchen Erde namens "Mini Switzerland" machen. Der laege zwar 12km gewundene Serpentinenstrasse entfernt, aber die Abkuerzung zu Fuss waeren sicher nur 4 oder 5. Zur Sicherheit fragte er noch einen Ranger des Naturparkes, der zwar die Entfernungsangabe nicht bestaetigen konnte, aber meinte, wir waeren sicher in 2 Stunden am Ziel. Da wir nach 1h einen falschen Abzweig (Karten oder Wegweiser gibts natuerlich nicht, nur Orientierungssinn und Glueck) nahmen, landeten wir aber nicht in der Schweiz, sondern 1 1/2h spaeter wieder am Ausgangspunkt des Abstechers und erreichten die Stadt in der Daemmerung. Zum Glueck!

Am naechsten Tag hatte ich naemlich beschlossen, nur eine kleinere Tour zu unternehmen und eben jenen 2h-Abstecher mit genuegend zeitlichen Spielraum in der Hinterhand auszuprobieren. Ein unglaublicherweise 10min zu frueh gefahrener Bus verlaengerte meine Tour erst einmal um 8km. Der eigentliche Weg stellte sich als durch wunderbar abgelegene Taeler fuehrender Pfad heraus, der mich, ohne einer anderen Menschenseele zu begegnen, nach nur 4 Stunden strammen Marsches und geschaetzten 15km ans Ziel fuehrte. So viel zu akkuraten Zeit- und Entfernungsangaben. Mit gewissen Differenzen kann ich ja leben. Aber manchmal kann man nicht wie in diesem Fall in den unfreiwilligen Ueberstunden die Natur geniessen und die Konsequenzen koennen gravierender sein als 10EUR weniger in der Tasche fuer ein Taxi wegen des verpassten letzten Busses zurueck. Mein Versuch, eine Mitfahrgelegenheit zu finden, scheiterte naemlich; nicht an der Ignoranz der Inder, ganz im Gegenteil, die hupen wie wild, jeder zweite haelt freundlich an und laechelt in den Tag hinein, aber die Autos waren ausnahmslos schlicht voll. Indien eben. Beim Ziel der Wanderung handelte es sich uebrigens um eine schoene, grosse, saftige Wiese, umgeben von Zedernwald und mit Bergpanorama im Hintergrund - von den Indern, offenbar in einem seltenen Anfall falscher Bescheidenheit, Mini-Schweiz getauft.

Nord und Sued (Literaturverweis)

Der Eintrag mit diesem Titel schlummerte suess in den Entwuerfen - vollendet, aber unveroeffentlicht. Periodengerecht abgegrenzt habe ich ihn zum 4.4. gebucht.

Freitag, 6. April 2007

Die Heilige Stadt

Nein, ich bin nicht in Rom. Das mag fuer die christliche Welt DIE heilige Stadt sein, ist aber eben auch nur eine. Die Moslems haben ihr Mekka, die Hindus Varanasi und die Sikhs haben Amritsar. Die Sikhs sind die mit den Turbanen (dieser wird nicht von allen getragen, die zwischen Athen und Peking herumlaufen, ganz im Gegenteil), eine Religionsgemeinschaft, die sich im 16. Jahrhundert aus muslimischen und hindustischen Elementen ausgehend von Amritsar in Nordindien entwickelt hat. Vom Zusammengehoerigkeitsgefuehl, den Regeln, die sie befolgen, dem Hang zum Auswandern (daher wahrscheinlich unsere haeufigen Turbanassoziationen) und der Leidensgeschichte her sind die Sikhs ganz gut mit den Juden vergleichbar. Sie wurden quasi immer verfolgt. 1919 haben die Briten hier ohne Vorwarnung in eine friedlich demonstrierende Menschenmenge geschossen und ein paar hundert Inder zu Maertyrern gemacht - ein Schluesselereignis im indischen Unabhaengigkeitskampf (wer Attenboroughs "Gandhi" gesehen hat, erinnert sich vielleicht), an das mit einem patriotisch entsprechend dick aufgetragenen Mahnmal erinnert wird. Und erst 1984 hat die damalige indische Premierministerin Indira Gandhi Bestrebungen nach einem eigenen Sikh-Staat mit Panzern ueberrollen lassen. Was sie dabei nicht bedacht hatte, waren der legendaere Stolz und Kampfesmut der Sikhs, der ihnen im Laufe der Jahre ueberproportionale Bedeutung in der indischen Armee und auch in Gandhis Leibwache eingebracht hatte - kurz darauf fiel sie einem Attentat ihrer Leibwaechter zum Opfer.

Meine Erfahrung mit den Sikhs repraesentierte nun aber das voellige Gegenteil. Ich habe gestern die vielleicht ruhigsten und angenehmsten Stunden meiner Indienreise in der heiligen Stadt der Sikhs verbracht, genauer in ihrem zentralen Heiligtum, dem Goldenen Tempel. Der Tempel an sich ist relativ klein, wirkt aber schon durch die Rundumvergoldung bezaubernd. Er steht romantisch inmitten eines ca. 100x100m grossen Sees und wird von weissen Arkaden sowie einigen weiteren Hallen umgeben. In letzeren werden (kostenlos!) alle, die das wuenschen, verkoestigt und beherbergt. Den Tempelkomplex betritt man mit Kopfbedeckung (daher das mit den Turbanen) und barfuss mit frisch gewaschenen Fuessen, so dass man dann auf Marmor oder Teppich dahinspaziert, ohne dreckige Fuesse zu bekommen, was sich allein schon angenehm von den meisten Hindu-Tempeln unterscheidet. Im eigentlichen Tempel sitzen von 4 bis 22 Uhr Priester, die ununterbrochen aus der heiligen Schrift der Sikhs rezitieren oder singen, was - auf unindisch angenehme Art - per Lautsprecher in den ganzen Komplex uebertragen wird. Da es zudem keine Haendler oder anderes aufdringliches Personal gibt, herrscht eine spirituelle Atmosphaere, die mich voellig in ihren Bann zog und mich mehrere Stunden herumspazierend oder am Seeufer sitzend verweilen liess. Auch andere westliche Touristen habe ich seltsamerweise keinen einzigen gesehen, was das "spirituelle Erlebnis" noch verstaerkte.

Ebenso andere Traveller mit der Lupe suchen muss man in Dalhousie, meiner naechsten Station. Dalhousie ist eine der traditionellen, von den Briten gegruendeten Hill Stations im Himalaya-Vorland, allerdings weder in Bekanntheitsgrad noch in touristischer Infrastruktur oder gar Besucherzahl mit den Klassikern Darjeeling oder Shimla vergleichbar. Deshalb habe ich sie mir natuerlich auch ausgesucht :-), bin aber jetzt doch ueberrascht, als wie idyllisch Dalhousie sich erweist (allerdings beginnt die Saison hier auch erst Ende April). Der Ort liegt auf 2000m Hoehe auf zwei Seiten eines Bergrueckens mit jeweils toller Sicht auf die Umgebung, die ich auch vom Balkon (!) meines Hotelzimmers geniessen kann. Ausserhalb des Zentrums sieht man von einem Haus geradeso das naechste, die Hotels liegen zudem an einer Fussgaengerzone (!!!!) und es gibt genau ein Internet-Cafe - stets ein hervorragender Indikator fuer die Menge an Touristen. Hier werde ich es sicher ein paar Tage aushalten, etwas ausspannen, etwas wandern gehen, etwas Bloggen und mich dann nach einem Abstecher ueber das Dalai-Lama-Exil Dharamsala auf den Weg nach Delhi und nach Hause begeben.

Mittwoch, 4. April 2007

Nord und Sued

In den meisten Laendern oder auch Kontinenten gehoeren Nord-Sued-Unterschiede zu den gaengigsten kulturellen Stereotypen. Im Sueden geht es lockerer und ungezwungener zu, dabei etwas unorganisierter und improvisierter u.s.w.u.s.f. Sicherlich haben diese Klischees einen, wenn auch schwer wissenschaftlich zu isolierenden, wahren Kern. Zwei Wochen im Norden und einige Wochen im Sueden geben nun zwar kaum zu umfassenden Kulturstudien Anlass, aber einiges faellt eben doch ins Auge. Um wenigstens Gewoehnungseffekte auszuschliessen, habe ich mit meinem Urteil auf die Rueckkehr in den Norden gewartet.

Ja, auch fuer Indien gilt: der Sueden ist anders. Die Menschen sind nicht so gut angezogen wie im Norden (zumindest bei Maennern sind kurze Hosen nicht voellig Tabu, klassisches Outfit ist ein zum knielangen Rock gefaltetes Tuch) und weniger aggressiv in ihren Bemuehungen, den arglosen Touristen zum allerpreiswertesten Hotel oder den allerbesten Shop zu (ent)fuehren ("come my friend, very cheap, only looking, no charge"). Dass das Leben insgesamt lockerer ist und die Uhren langsamer ticken, hoert man zwar auch haeufig und ich empfand es tendenziell ebenso, an Fakten laesst sich dies aber kaum festmachen (siehe Einleitung...)

Es lassen sich aber auch weniger stereotypanfaelligere, handfestere Unterschiede finden. Die Menschen haben eine dunklere Haut, eigentlich schon schwarz, nur eben mit indoeuropaeischer Physiognomie. Die Unterschiede zwischen Sueden und Norden stehen denen zwischen Finnen und Sizilianern jedenfalls in nichts nach. Dann ist das Essen im Sueden weniger fettig, etwas schaerfer gewuerzt und reislastiger. Mir mundete es insgesamt besser, was nicht unbedingt an der Schaerfe lag. Wobei man sich auch an die erstaunlich schnell gewoehnt - viele touristenkompatible Gerichte, seien es milde indische oder westliche, kommen mir inzwischen dermassen lasch vor. Vielmehr haben es mir der hohe Anteil an frischem Seafood und die Reiszubereitungen, z.B. duenn gebackene, gefuellte Riesenfladen (Dosas) oder eigentlich nicht besonders appetitlich aussehende, aber dennoch leckere "zusammengepappte Reisklumpen" (Idlis) angetan. So bin ich sogar zum indischen Fruehstueck konvertiert, naja, zumindest jeden zweiten Tag.

Insgesamt fand ich den Sueden sympathischer, wobei allein die Bezeichnung "der" Sueden der Realitaet ueberhaupt nicht gerecht wird. Denn wie viel von diesem riesigen Land habe ich schon gesehen? Indiens Leben und Kultur entziehen sich einer eindeutigen Charakterisierung, weil es nicht nur ein Indien gibt, sondern das Land, eigentlich ja ein halber oder zumindest Sub-Kontinent, eine Vielzahl Reiche, Voelker, Sprachen und Religionen hervorgebracht hat. Wir moderne Turbo-Reisende sehen nun in kurzer Zeit verschiedene Regionen Indiens, die frueher teilweise kaum Kontakt hatten, zumindest aber ganze Reisemonate auseinanderlagen. Selbst heute noch haben die meisten Inder ihren Bundesstaat nie verlassen (A.d.R.: Ist das in den USA anders?)

Die Gegenden, die ich im Sueden besucht habe, fand ich jedenfalls landschaftlich reizvoller und mehr zu Erholung angetan (Strand, Berge, Backwaters von Kerala, fruehkoloniale Ueberbleibsel). "Der" Norden, will heissen, Delhi, Agra und Rajasthan, boten dafuer mehr touristisch Interessantes in Form zahlreicher Tausendundeiner Nacht oder Fantasy-Romanen entliehene Sehenswuerdigkeiten. Die Weiterrreise in die Auslaeufer des Himalya wird diese ohnehin holzschnittartige Eindruecke aber sicherlich noch verzerren.

Klimatisch unterscheiden sich Norden und Sueden definitv auch, bei geschatzten 2000km Ausdehung und 0 bis 1000km Entfernung vom Meer ja auch kein Wunder. Die Rueckkehr nach Delhi mit seinen trockenen 32-35 Grad empfand ich im Vergleich zum schwuelen Sueden jedenfalls als Erholung und die Abende, an denen man es im T-Shirt gerade noch so aushaelt, schon fast als zu kuehl. Unsere erstaunliche Faehigkeit, sich an andere Umstaende zu gewoehnen, war ueberhaupt das Spannendste an meiner Rueckkehr nach Delhi. Ich bin im selben Viertel wie "damals" (vor reichlich 5 Wochen) eingekehrt und finde mich nicht mehr in einem unbeschreibliches Chaos, sondern einer voellig gewoehnlichen indischen Stadt
wieder. Meine Billigherberge kommt mir vor wie eine Mittelklassehotel an der Grenze zur Dekadenz. Und dass ich an einem Tag erfolgreich Zugtickets kaufte, einen Anzug bestellte, einige Laeden fuer den Vorabreisetag auskundschaftete und noch zwei Sehenswuerdigkeiten besuchte, kommt mir schier unglaublich produktiv vor. Zudem fuehle ich mich wie bei der Rueckkehr in die Heimatstadt meiner Kindheit 20 Jahren spaeter. Vieles ist angenehm vertraut und ich fand den Friseur um die Ecke und unsere Lieblings-Dachterrasse quasi blind, obgleich die Tage nach der Ankunft mir unendlich lange her zu sein scheinen.

The Big Indian Apple

Mumbai. Frueher Bombay. Neuer Name, neue Stadt? Nach vier Tagen Strandidylle ein ganz schoener Schock. Man fuehlt sich klein und allein unter all den Menschen. Der Flughafen mitten in der Stadt. Inzwischen. Die Slums reichen bis an die Rollbahn. Und doch noch ueber eine Stunde ins Zentrum. Erste Parallele zum amerikanischen Pendant. Mein erster Eindruck: indischer Laerm, indische Massen und indische Touristen-Basare, aber kein indischer Charme. Mein bleibender Eindruck: Laerm sehr wohl, viele Menschen sowieso, viele Touristen ebenfalls, aber Charme! Zweite Parallele. Etwas altes Europa, etwas Indien, etwas Weltstadt. Ein Finanzviertel. Dritte Parallele. Mit Hochhaeusern in Neogotik und Art Deco, mit Buergersteigen, und Bettlern. Dazu Imbissbuden, Fruchtpressen, Bauchlaeden, exotische Gerueche. Indien! 16 Millionen, anscheinend alle gleichzeitig auf den Beinen. Und jeder hat seinen Platz, kennt seinen Weg. Ein Ameisenhaufen. Ein Wunder der Selbstorganisation mit etwas zivilisatorischer Hilfe. Vielen Ampeln zum Beispiel. Sogar mit Bedeutung. Zumindest fuer die meisten. Dadurch ein voellig unindisches Phaenomen: leere Strassen im Ampelschatten. Oasengefuehl fuer Pflasterkamele auf Stadtwanderung. Fuer Pflastermuede Unmengen Taxis. Nachbau Fiat 1950. Gelb. Vierte Parallele. Und eine Vorortbahn - uralt, aber zuverlaessig schleust sie gefuehlte Millionen stadtein- und stadtauswaerts. Laufen gegen den Strom wie ein Kampf gegen Sturm und Wetter. Aber dafuer Platz zum Atmen im Zug: antizyklisches Reisen, Privileg des Touristen ohne Alltag. Sonst gewohnte Ueberfuellung. Man kann erste Klasse kaufen. Selber Komfort, etwas weniger Menschen, etwas weniger nur, zehnfacher Preis. Zuege ohne Tueren. Warum Tueren? Effektive Klimatisierung, effektives Ein- und Aussteigen. Warum auf stehenden Zug warten? 10 Sekunden Halt reichen. Keine Signale, keine Ansagen, keine englischen Beschriftungen, aber viele hilfsbereite Mumbaikars. Ja, so heissen die. Ein besonders netter traf mich am Gandhi-Museum. Hatte einen Tag frei und freute sich ueber Gesellschaft. Ich ebenso. Fuer ein Mittagessen zeigte er mir ein paar nette Ecken. Zum Beispiel Malabar Hills. Der Weisse Hirsch von Mumbai. Kuehler, ruhiger, sauberer. Eine Stadt der Gegensaetze. Clubs und Parties wie in London. Mieten noch nicht wie in London. Aber schon wie in Berlin. Weniger gruen als in Berlin und London zwar. Aber es gibt gruen. Mitten im Zentrum sogar. Fuenfte Parallele. Zaehle ich noch mit? Einzigartig unindisch. Eine grosse Wiese. Freizeit-Cricketplatz. Einzigartig indisch! Ein sehr beruhigender Sport in der schwuelen Mittagshitze. Zumindest fuer Zuschauer. Abends Kino. Pflichtprogramm. Filmhauptstadt Mumbai. Bollywood. In Riesenauditorien aus Stummfilmzeiten. Sonst sehr indisch. Popcorn-Quassel-Pause, Live-Kommentierung und Nonstop-Klingelton-Unterhaltung. Abendessen auf Dachterrasse. Mit Sofas und Wasserpfeifen. Urlaub! Preise wie zu Hause. Man goennt sich ja sonst nichts. Zurueck zum Hotel. Zimmer erinnert an Abstellraum. Umzug nach einer Nacht. Zimmer mit Bad. Und AC. Preis wie zu Hause. Man goennt sich ja sonst nichts. Aber nach drei Tagen, ist's genug.

Sonntag, 1. April 2007

Bildergalerie III

1 der ominoese Elefant auf den Schienen
2 und die brennenden Schienen einige Minuten spaeter ...
3 Landschaft bei Oooty
4 in einem Bergdorf
5 Markttreiben
6 der dolle Maharadscha-Palast von Mysore
7 Goa ...
8 ... hat rundum zufriedene Urlauber
9 .... und jede Menge Kirchen
10 Oxford? Bombay!



















































































Einige Beobachtungen nebenbei

Obwohl die Inder es bei den meisten Angelegenheiten des Lebens eher ruhig angehen lassen (es sei an Busfahrzeiten, Schalterangestellte oder anderes Service-Personal erinnert), werden die Mahlzeiten in einem enormen Tempo verschlungen. Dies wird dadurch erleichtert, dass die meisten Gerichte als mundgerechte Happen serviert werden. (meine Theorie ist, dass das an der Schaerfe des Essens liegt, die sich moeglichst im Mund nicht lange breitmachen soll ...) Da in einem billigen indischen Restaurant mit grossem Durchsatz meist auch alle Toepfe schon vor sich hin koecheln, wickeln manche Inder einen Retaurantbesuch schneller ab als Grundstudiumsstudenten mit vollem Stundenplan einen Mensabesuch. Im Flug von Goa, der eine knappe Stunde ging, musste ich die die Assietten wieder einsammelnde und langsam nervoes werdende Stewardess zweimal vertroesten. Ich war einfach nicht so schnell...

Der Preis des Bieres verhaelt sich anscheinend umgekehrt zum Touristenaufkommen. In normalen indischen Staedten bezahlt man zwischen 1 und 2 EUR (also doppelt so viel wie fur ein einfaches Essen), am Strand von Goa kostet es 70 Cent (also halb so viel wie ein einfaches Essen hier). Da gleichzeitig Weine noch viel unerschwinglicher (Import), Spirituosen aber relativ preiswert sind (erst Recht schwarz gebrannte mit schoen viel Methanol), kann man sich die Folgen ausmalen. Es gibt keine wie auch immer zu bewertende "Trinkkultur" wie bei uns, aber dafuer (zumindest nach Auskunft der Inder, mit denen ich darueber gesprochen habe) eine Menge Alkoholiker.

Autos lassen beim Rueckwaertsfahren nicht - wie bei uns die LKWs - ein schnoedes Piepen vernehmen, sondern spielen eine nette Melodie a la Handy-Klingelton, aber vollstaendig! Diese sind erstaunlich vielfaeltig und entstammen mutmasslich irgndwelchen Bollywood-Filmen. Ich konnte jedenfalls bisher nur eine Mittelklasselimousine mit dem Titanic-Titelsong identifizieren. Uebrigens sind fast alle Autos hier indische Fabrikate oder, seit einigen Liberalisierungsbemuehungen in den 90er Jahren, als Ergebnisse von Joint-Ventures zumindest in Indien gefertigt. Das ist noch ein Relikt aus den Zeiten, als sich Indien nicht so richtig zwischen Sozialismus und Kapitalismus entscheiden wollte. Es fuehrt zumindest dazu, dass die Reichen fuer ihre Porsches oder SUVs fette Einfuhrzoelle zahlen muessen (dennoch hat der Volkswirt zu derartigem Protektionismus eine sehr dezidierte Meinung ...).

Ein weiteres Beispiel fuer Verspieltheit und Reizueberflutung: in einem indischen Nachrichtenstudio gibt es neben der klassischen Hintergrundwand (sozusagen der Tagesschau-Kulisse) ene zweite ebenso grosse, auf der grosse, bunte, sich wild drehende und rotierende Bildschirmschoner-Figuren zu sehen sind. Ausserdem faehrt um den in der Mitte des Studios platzierten Sprecher eine Modelleisenbahn im Kreis (!!!)

Die Inder verwenden nicht Millionen und Milliarden, sondern haben eigene Begriffe aller zwei Zehnerpotenzen, also nach 1.000 fuer 100.000 und 10.000.000. Das ist eigentlich ganz praktisch, weil die grossen Zahlen dadurch etwas kleiner und lesbarer werden. Dafuer koennen die Inder miserabel kopfrechnen. Es ist mir nicht nur einmal passiert, dass im Internetcafe der Angestellte 25+25+10 mit viel Gemuetsruhe in den Taschenrechner tippte.

Freitag, 30. März 2007

Robert - allein in Goa

Nach vier Wochen klassischem Herumgereise bin ich am vergangenen Montag in Goa eingetroffen, vielleicht der Inbegriff des indischen Strand- und Partyparadieses, das ich einfach als das indische Mallorca bezeichnen wuerde. Abgesehen von einigen typischen organisatorisch-zivilisatorischen Unzulaenglichkeiten und der Mehrzahl der Bewohner scheint Goa mit Indien nicht viel zu tun zu haben. Zum einen war es bis 1961 portugiesische Kolonie (dann hat es die indische Armee besetzt - aber weder im fernen Lissabon noch vor Ort hat das wirklich jemanden interessiert), so dass es einige kulturelle Ueberbleibsel gibt, so z.B. Old Goa mit drei, vier grossen Kirchen und einem Dutzen Kirchruinen dazu, die zwischen einer klassischen indischen Kleinstadt mit Blechhuetten und Marktstaenden etwas fremd wirken, oder eine niedrige Steuer auf Alkohol. Zum anderen sind die Traumstraende touristisch inzwischen durchgehend erschlossen - zum Teil mit Ballermann-Partyparadiesen, zum Teil mit riesigen Club-Med-Resorts.

Ich habe mir ein insgesamt noch nettes und nicht besonders ueberlaufenes Fleckchen namens Colva herausgesucht. Hierhin verschlaegt es vor allem indische Familien und klassische Pauschaltouristen aus Grossbritannien und Russland, die tagsueber die Strandliegen und abends die Hotelbar belagern. Entsprechend komme ich mir etwas fremd und mit meinen enormen vier Wochen Indienerfahrung (...) sowie dem LP-Survival Guide in der Hinterhand gleichzeitig irgendwie distingiert vor. Das wurde auch schon am Flughafen deutlich, wo ich als einziger aus einer Maschine voller indischer und nichtindischer Touristen selbstverstaendlich in den oertlichen Bus stieg, um an meinen Zielort zu gelangen - nach den routinemaessigen Maehrfacherkundigungen und mit dem ueblichen Stueck Restunsicherheit behaftet, ob ich denn wohl im richtigen gelandet sei. Mit dem Bus kommt man hier uebrigens wunderbar voran. Sie sind zwar wie immer uralte Gefaerte und man weiss nie vorher, ob man nun wirklich im richtigen sitzt, aber sie fahren, auch im Vergleich mit einer vergleichbaren mitteleuropaeischen Gegend, dermassen oft und zahlreich, dass man relativ zuverlaessig vorankommt.

Fuer vier Tage Ausspannen finde ich es hier jedenfalls ganz Klasse. Das Klima ist ertraeglich (Temperatur perfekte 30Grad, Luftfeuchte unangenehm, aber am Strand mit Lueftchen oder im Restaurant mit Ventilator gut auszuhalten) und das Hotel, was ich mir goenne, gute indische Mittelklasse mit Pool. Ich esse jeden Abend Seafood mit Blick aufs Meer (wo sonst bekommt man Riesengarnelen so frisch und guenstig?), trinke ein kuehles Bier dazu, bekomme die Suedfruechte quasi direkt vom Baum gepflueckt und schluerfe gern mal eine frisch angeschnittene Kokosnuss aus (Maria&Clara: das schmeckt ueberhaupt nicht nach typisch Kokos, das Fruchtfleisch auch nicht, wahrscheinlich machts erst die etwas angetrocknete Mischung). Die letzten Tage waren nun die ersten des Urlaubs, an denen ich quasi inaktiv war, also nicht herumgereist bin oder irgendein touristisches Programm absolviert habe.

Mit dem gefuehlten Nichtstun - schattige Liege am Pool mit ausreichend Literatur dabei hin oder her - reicht es mir aber auch schon wieder. Erstens kann ich mir grundsaetzlich nicht vorstellen, meinen ganzen Urlaub so zu verbringen wie die meisten mich Umgebenden hier und zweitens habe ich das Gefuehl, die wenigen Wochen, die mir in Indien bleiben, intensiver nutzen zu muessen. Rumliegen kann ich ja auch zu Hause, oder zumindest in Mallorca. Also gehts morgen weiter nach Mumbai, wo ich mich auf die wohlpraeparierten Spuren (Danke!) von Maria und Clara begeben werde.

Von verschiedener Seite kam die Frage auf, ob ich mich allein in diesem grossen Land nicht schrecklich einsam fuehlte. Der Tag nach der Abreise der Maedels war schon etwas seltsam - ploetzlich im Hotelzimmer allein aufzuwachen oder abends keine zwei weiteren Essen probieren zu konnen :-( Die dreieinhalb gemeinsamen Wochen schienen ploetzlich so weit weg. Fuer mich begann die Reise quasi von vorn. Dennoch fuehlte ich mich schnell wieder, wenn auch auf andere Art, pudelwohl. Erstens bin ich ja von jeher ein Typ, der nicht staendig Gesellschaft um sich braucht, der auch gern einfach mal fuer sich ist, um ueber Gott und die Welt nachzugruebeln. Sicher zu wissen (sicher in Indien?, naja, zumindest glaube ich dran), dass es fuer eine beschraenkte Zeit ist, machts noch leichter und laesst es mich geradezu geniessen. Zweitens ermoeglicht das Alleinsein mehr Unabhaengigkeit. Nicht, dass ich mich vorher eingeengt gefuhlt haette, aber es ist eben doch was anderes, wenn man allein entscheiden kann - da ich bisher nicht Shoppen war, habe ich die negativen Seiten des Alleinentscheidens noch nicht gespuert... Drittens fuehle ich mich irgendwie mehr wirklich in Indien als vorher, weil mir sozusagen der staendige kulturelle Kontakt zur Heimat in Form zweier reizender Reisebegleiterinnen abhanden gekommen ist und man beim Warten auf Busse, das Essen oder Herumfahren etc. allein mehr in sich ruht und einfach nur die Umgebung beobachtet als in einer Gruppe. Sicherlich spielt dabei aber auch eine Rolle, dass man nach ueber vier Wochen ohnhin in vielem ruhiger wird und einem das indische Leben langsam vertraut vorkommt. Zum vierten bin ich selten wirklich allein (am ehesten noch hier, weil ich keine besondere Lust habe, mit den Touris anzubaendeln). Der telefonische&elektronische Kontakt zur Allerliebsten (und den Naechst-Allerliebsten) hilft mir sehr dabei, mich ueberhaupt nicht einsam zu fuehlen. Viel haerter als allein zu reisen waere es wohl, nach Hause zurueckzukehren und dort allein zu sein. Und schliesslich finden sich regelmaessig Gelegenheiten, fuer ein paar Minuten oder auch laengere Zeit mit anderen Travellern ins Gespraech zu kommen. In Ooty habe ich beispielsweise einen Tag mit vier netten Briten verbracht und mit einem auch das Zimmer geteilt. Kurzum, niemand muss sich Sorgen darum machen, dass ich vereinsame oder meine sprachlichen Faehigkeiten schrittweise verkuemmern.

Dienstag, 27. März 2007

Lingua franca ?

Ein kuerzliches Telefongespraech zwischen einem netten Hotelangestellten und mir, so unverfaelscht wie moeglich aus dem Gedaechtnis wiedergegeben:

R: Ich wuerde gern ein Zimmer reservieren.
H: OK, Einzel- oder Doppelzimmer?
R: Einzelzimmer bitte.
H: Tut mir leid, wir haben nur Doppelzimmer.
R: Aha. Na gut. Haben Sie ein Zimmer fuer morgen Abend?
H: Jaja, kein Problem. Ok. Ok.
R: Ich muss am naechsten Morgen sehr frueh abreisen, so gegen fuenf. Ist das moeglich?
H: Ok, ok, kein Problem, ok.
R: Was kostet das Zimmer?
H: Ok, ok, ok. Kein Problem.
R: Ich meine, wie teuer ist denn das Zimmer, wie viel muss ich bezahlen?
H: Jaja, OK. Sie bezahlen hier.Ok, ok, ok.
R: Nein, das ist nicht OK. Ich habe gefragt: w-i-e v-i-e-l kostet das Zimmer?!
H: Ja, ja. Ok. 180 Rupien, Ok, ok.
R: Gut, brauchen Sie nicht noch Namen oder irgendwas von mir.
H: Ok, ok. Woher kommen Sie?
R: Aus Deutschland.
H: Ok, ok, ok, kein Problem.
R: Und mein Name ist - klick -

Bleibt noch hinzuzufuegen, dass von der Reservierung am naechsten Abend natuerlich niemand etwas wusste, aber das Hotel trotzdem noch ein Zimmer frei hatte...

Sonntag, 25. März 2007

Der Berg ruft

Um dem im Sommer fuer die europaeische Konstitution nur schwer ertraeglichen indischen Klima zu entfliehen, kamen die englischen Kolonisatoren seinerzeit auf die glorreiche Idee der "Hill Stations" - Orte in den Bergen, die aehnlich den Retorten-Skistationen in den Alpen aus rein touristischen bzw. Wohlfuehlmotiven ausgebaut wurden. Ich habe mich nun, ebenfalls etwas Abkuehlung suchend, auf die Spuren der Gentlemen begeben und dafuer die beliebteste Hill Station Suedindiens ausgesucht (die bekannteste ueberhaupt ist wahrscheinlich Darjeeling in Nordostindien), welche den klangvollen Namen Udagamandalam traegt, aber zur Vereinfachung (auch auf Strassenschildern etc) nur Oooty genannt wird. Der Ort liegt immerhin auf 2200m Hoehe - allerdings nicht in einer alpinen Hochgebirgslandschaft, sondern einem eher unserer Heimat aehnelnden huegeligen Umgebung mit einigen Waeldern und viel Grasland. Die Hoehe bedingt ein sehr angenehmes Klima. Die Temperaturen gehen nie unter Null und nie ueber 30 Grad, zurzeit war es nach mitteleuropaeischen Massstab spaetsommerlich - gerade so, dass man im Schatten nicht friert und man sich abends etwas ueberziehen muss. Fuer die Inder ist das natuerlich erbaermlich kalt, so dass die Hauptsaison in Ooty erst im April beginnt. Fuer die Inder sind die Hill Stations heute beliebte Hochzeits-Reise-Ziele - so erklaert sich auch eine, mir anfangs voellig schleierhafte, unglaubliche Ansammlung an Blumen- und Juwelierlaeden vor Ort. Wahrscheinlich muss der Liebe in den zahlreichen arrangierten Ehen anfangs etwas auf die Spruenge geholfen werden...

Ich habe den Aufenthalt mangels Wunsch-Ehepartnerin fuer eine Wanderung und einige Spaziergaenge durch die Umgebung genutzt. Schnell bemerkte ich dabei einen wesentlichen Unterschied zum gefuehlten europaeischen Spaetsommer: naemlich die Sonne, welche zwischen 10 und 16 Uhr praktisch senkrecht vom Himmel brennt. Verstaerkt durch die Hoehenlage, konnte 4x taeglich LSF 20 eine Verfaerbung von haselnussbraun in indianerrotbraun nicht verhindern. Dafuer brauche ich jetzt nach erfolgtem Uebergang ins Kakaobraun im Flachland ueberhaupt keinen kuenstlichen Schutz mehr.

Der Ort Ooty hat sich zwar inzwischen zu einer typischen indischen Stadt entwickelt, laesst aber in einigem noch den Charme vergangener Zeiten verspueren. So gibt es elegante viktorianische Bungalows, abgetrennte Buergersteige (in Indien sonst nie gesehen!), eine ausgewachsene Pferderennbahn, einen kuenstlichen See, eine leicht geschrumpfte Westminster Abbey, einige renommierte Privatschulen und einen wunderbaren Botanischen Garten. Dieser wartet mit zahlreichen exoptischsten Baumarten auf (in dem Klima waechst ja auch fast alles) und ist darueber hinaus eher Volkspark sowie Hochzeitsfotohintergrund, gehoert vor allem aber zum geflegtesten und saubersten, was ich in Indien bisher (und ueberhaupt!) gesehen habe.

Das beste an Ooty ist aber wahrscheinlich die Anreise. Mit dem Ziel maximaler Bequemlichkeit haben die Englaender mit eidgenoessich-technischer Unterstuetzung eine 45 km lange Schmalspurbahn verlegt. Eine gute, alte Dampflokomotive schiebt in 5h, teilweise in Quasi-Schrittgeschwindigkeit, den Blue Mountain Train den Berg hinauf und ueberwindet dabei beachtliche 1800 Hoehenmeter. Als waere das nicht schon abenteuerlich genug, werden - zumindest war das auf meiner Fahrt so - gern noch einige Ereigniskarten gezogen. So wurde der Zug von einem (wilden) Elefanten aufgehalten, der erst nach mehrmaligen Tuten sowie Vor-und Zurueckrollen vom Verlassen der Gleise ueberzeugt werden konnte. Einige Minuten spaeter brachte Rauchentwicklung auf einer Bruecke den Zug zum Stehen. Offenbar hatte ein Buschfeuer die Eisenbahnschwellen in Brand gesetzt. Nun, nichts leichter als das. Die indischen Zugbegleiter loeschten das Ganze mit ein paar Wassereimern und zogen auch noch eine neue Holzbohle aus dem Aermel, die dann vor unseren erstaunten Augen in die Strecke eingesetzt wurde. Solche Reparaturen scheinen, nach der fuer indische Verhaeltnisse ziemlich unaufgeregten Problem- Loesung und der trotzdem nach fahrplanmaessigen Ankunft zu urteilen, reine Routine zu sein.

Die Rueckfahrt ins Flachland stellte dann wieder eine indien-typische Erfahrung dar. Aus 3 Stunden Busfahrt wurden 5 1/2h, nicht aber wegen unvorgesehener Zwischenfaelle, sondern weil der wohlinformierte Angestellte des privaten Busbueros wieder einmal ein sehr weit gedehntes Verstaendnis von Aufrichtigkeit hatte sowie der Busfahrer vor der Abfahrt noch einige Freunde an das andere Ende der Stadt bringen zu muessen glaubte. Dies ist einer der kulturellen Differenzen, mit denen ich am wenigsten klarkomme. Mit zweieinhalb Stunden Verspaetung habe ich kein grosses Problem. Erstens bin ich selbst selten puenktlich, zweitens in Indien und drittens im Urlaub, aber ich erwarte instinktiv, dass man mich so weit moeglich darueber informiert. Man kann den Indern nun schwerlich Verlogenheit oder Gaunerei vorwerfen, denn im Prinzip ist ja in etwa immer alles fast so aehnlich wie sie es sagen. Die Inder wachsen damit auf und finden das auch voellig normal. Aber sie machen sich das Leben damit auch selbst schwer, weil sie sich aufeinander bzw. auf Verlautbarungen aller Art kaum verlassen koennen und so regelmaessig Zeit mit Warten und planlosem Rumsitzen verbringen.

Die Fahrt an sich war wiederum ein Highlight. Sie fuehrte eine mit Haarnadelkurven gespickte Strasse steil den Berg hinunter, die fuer normale Busse und LKWs gesperrt ist - und das in Indien, wo sich um so was sonst ueberhaupt keiner schert - das sagt schon einiges. Fein durch nummerierte Serpentinen qualifizierten die Strasse dann endgueltig zu einer Alpe-d'Huez-Alternative (Sorry Outsider). Den heutigen Tag habe ich in Mysore vrbracht, einer netten Provinzstadt (also nur so um die 800.000 Einwohner), deren Hauptattraktion ein um 1900 gebauter Maharadschapalast darstellt - eine fuer den Verstand unertraegliche, fuer die Augen aber doch ganz nette Mischung aus Tausendundeiner Nacht, Jugendstil und Hollywood. Morgen gehts dann zurueck an die Kueste in das indische Ur-Strandparadies Goa.

Ein Tag im Leben eines Indien-Reisebudgets

1 Fruehstueck mit frischem Obst und echtem Kaffee (ist hier sehr selten, gibt fast nur Kruemelkaffee) im Touristen-Bio-Cafe
1 Mittagessen im indischen Schnellrestaurant inkl. Getraenk und Eiskaffee
1 selbst zusammengekaufter Verpflegungsbeutel mit Obst und gefuellten Teigtaschen
1h Internet
1 Eintritt in alten Palast
2 Rikschafahrten a 10min
1 Faehrueberfahrt a 30min
1 Zugfahrt 1.Klasse a 4h
1 Uebernachtung im Billig-Hotel

Macht 15EUR, davon uebrigens fast die Haelfte fuer die Zugfahrt.
Mit sage und schreibe 4Cent schlug der Eintritt zu Buche. Dafuer gab es dann auch zwei Kassierer und 5 Meter weiter einen Kartenabreisser.

Allerdings war das auch ein verhaeltnismaessig billiger Tag, man kann natuerlich auch weitaus fuerstlicher leben bzw. hat manchmal bei Eintrittspreisen oder verfuegbaren Hotelzimmern auch kaum eine Wahl. Die Spreizung ist jedenfalls enorm. So kostet die Zugfahrt in die Berge (naechster Eintrag) 2.Klasse 20Cent, 1.Klasse 3EUR. Fuer ein vollwertiges Essen habe ich - wohlgemerkt in der selben Stadt und ohne wirkliche Luxusschuppen aufzusuchen bzw. am Stand auf der Strasse zu kaufen - einmal 60Cent und einmal 8EUR bezahlt.

Montag, 19. März 2007

Zu Land, Wasser und in der Luft

Nach unserer kleinen Nordindien-Rundreise haben wir uns vor mittlerweile eineinhalb Wochen gen Sueden begeben. Statt einer 36stuendigen Zugfahrt hatten wir uns fuer den Flug mit einer indischen Billigairline entschieden und benoetigten von Jaipur nach Chennai (frueher Madras) einschliesslich Transfer, Wartezeit und Zwischenlandung so gerade einmal 5h. Das Fliegen stellte sich als eine sehr angenehme Fortbewegungsart heraus. Erstens sind die Flughaefen hier (noch) ueberschaubar, so dass man nicht Stunden auf Laufbaendern oder an Sicherheitskontrollen verliert, zweitens war der Service hervorragend (Hilfe beim Check-in, puenktlicher Flug, Wasser&Kekse im Flugzeug) und drittens fuehlten wir uns an Flughafen und im Airbus in einer seltsamerweise angenehm gewohnten Umgebung. Zumindest war sie weniger laut und schmutzig als die indische Grossstadt und wir mussten uns nicht im 30-Sekunden-Takt den Avancen geschaeftstuechtiger Inder erwehren.

Von Chennai fuhren wir direkt weiter nach Mamallapuram, einem sehr auf (europaeische) Touristen ausgerichteten Badeort, der allerdings auch mit Unesco-Welterbe-Tempeln und Felsenreliefs glaenzt. Dabei haben wir uns endlich einmal mit den beruechtigten indischen Bussen fortbewegt. Diese sind fast immer ueberfuellt, stammen vermutlich noch aus der Kolonialzeit und rasen wie die Henker ueber die Landstrassen - zumindest hat man beim Mitfahren diesen Eindruck, denn Strassenqualitaet, Zwischenhalte und Stadtduchfahrten lassen die Reisegeschwindigekit dennoch selten ueber 40km/h ansteigen. Meistens haben sie keine Fenster, was das Reisen zum einen ueberhaupt erst ertraeglich macht, zum anderen aber dazu fuehrt, dass man natuerlich trotzdem schwitzt und an den Kunstledersitzen klebt, sich gleichzeitig aber vor Zugluft und Halsschmerz schuetzen muss. Dennoch kommt man ganz gut und zuverlaessig von A nach B, gerade auf kuerzeren Strecken oder wenn man sich nicht rechtzeitig fuer einen Zg entscheiden konnte/wollte.

Ein besonderes Highlight a la Indien ist die Fahrplanlogistik. Busse haben zwar prinzipiell eine Abfahrtszeit, aber die stellt natuerlich nur einen groben Richtwert dar. Stuendliche Busse fahren theoretisch immer zur vollen Stunde, zweistuendliche i.d.R. ab 7Uhr plus x mal 2h usw. Tatseachlich faehrt der Bus ab, wenn er voll ist, dreht notfalls noch noch ein paar Runden um den Block und fragt die am Wegesrand Stehenden, ob sie nicht zufaellig auch nach B wollen. Entsprechend chaotisch sind die Busbahnhoefe. Da kurven staendig Busse kreuz und quer herum, machen den Motor aus und wieder an und fahren irgendwann doch ab. Die Bschriftungen sind meist nur in Hindi, so dass man sich durch Herumfragen zum richtigen Bus vorkaempft und dabei selbstverstaendlich auch mal von verschiedenen Angestellten der staatlichen Busgesellschaft gegenteilige Aukuenfte bekommt. Wir sind bisher immer ans Ziel gelangt, wichtig sind wie immer viel Geduld und nichts fuer bare Muenze nehmen, also mehrmaliges Nachfragen. Das gilt ebenso fuer Fahrzeiten. So mussten wir letzte Woche eines Morgens in die naechste groessere Stadt zum Bahnhof, nach Auskunft des Reisefuehrers, des Fahrkartenverkaeufers und eines Busfahrers sollte die Fahrt eine Stunde dauern. Nach knapp eineinhalb waren wir am Bahnhof und bestiegen gluecklich den um 15min verspaeteten Zug ...

Von Mamallapuram ging es weiter suedlich am Meer nach Pondicherry, einer herrlichen Kleinstadt und einstigen franzoesischen Kolonie, die sich als langjaehrige Enklave einiges von ihrem Kolonial-Flair bewahrt hat. Die Stadt wirkt, als sei sie von heute auf morgen von den Kolonialherren verlassen und von Indern uebernommen worden, die noch nicht so richtig was mit ihr anzufangen wissen. Die Strassen heissen "Rues" und sind schachbrettartig angeordnet, die Speisekarten voller franzoesischer Gerichte und Kuehe sucht man in den Strassen vergebens. Allerdings erinnerten uns die klimatischen Verhaeltnisse daran, dass wir weit im indischen Sueden sind. Waehrend es sich im Norden bei knapp 30Grad und deutlich kuehleren Naechten ganz gut leben liess, fanden wir schwuele 33 Grad bei nur unwesentlicher naechtlicher Abkuehlung auf Dauer weniger angenehm. So sind wir nach einigen Tagen in die Berge (die sogenannten Western Ghats) weitergereist. Dort haben wir einen Tag im Nationalpark mit Sichtung von Bisons, Elefanten und allerlei Affen verbracht und unser touristisches Programm noch mit einem Elefantenritt (Fotos folgen...) und Besuchen auf Gewuerz- und Teeplantagen abgerundet.

Von Periyar gings gestern weiter in den suedwestlichsten Bundesstaat Kerala, der von seinem weitverzeigten Kanalsystem, den Backwaters - eine Art Riesenspreewald, nur mit Palmen - gepraegt ist. Statt auf einem Touri-Boot durch die Gegend zu schippern, haben wir uns fuer 20Cent auf eine Faehre gesetzt und sind 3 1/2 gemuetlich durch die romantischen Kanaele nach Allapuzzha getuckert. Hier haben wir heute einen Ruhe- und Strandtag eingelegt. Gleichzeitig war dies unser letzter gemeinsamer Reisetag. Morgen fahren Clara und Maria gen Sueden, wo sie am Mittwoch ein Flugzeug nach Mumbai/Bombay erwartet, waehrend ich mich gemuetlich auf den Weg nach Norden mache, um dann in ca. zwei Wochen in der groessten Stadt Asiens einzutreffen.

Samstag, 17. März 2007

From Dawn till Dusk - Unser Alltag

Einen sich gleichfoermig wiederholenden Alltag sollte es im Urlaub eigentlich nicht geben, schon gar nicht in Indien. Auch der abgewandelte Filmtitel ist (einmal mehr) eine etwas heroische Beschreibung dessen, was wir hier so den lieben langen Tag anstellen, einige Bemerkungen dazu sind nichtsdestoweniger sicher mal interessant.

Unser Tag beginnt meist so gegen 9 (es sei denn, es gilt Zug, Bus oder Flugzeug zu erwischen) mit einem ausgedehnten Fruehstueck. Dieses besteht in der Regel aus einem oder mehreren der Standardbausteine Sandwich/Toast, Omelett, Muesli und Pancake (Eierkuchen). Das wird schnell entsetzlich langweilig (obwohl man zu Hause, abgesehen vom geliebten Schwarzbrot, sicherlich nicht abwechslungsreicher fruehstueckt), aber indisches Fruehstueck in Form von Curry und Frittiertem ist direkt nach dem Aufstehen nunmal nicht jedermanns Sache.
Das Fruehstueck nimmt auch deswegen einen grossen Teil des Vormittags in Anspruch, weil dafuer bis auf wenige Ausnahmen schattige Gaerten oder Dachterrassen mit Blick ueber die Stadt zur Verfuegung standen - fuer allzu selten an frischer Luft speisende Mitteleuropaer schon ein halber Urlaub. Ab und zu kehren wir mittags fuer eine Zwischenmahlzeit ein, meistens begnuegen wir uns aber mit Keksen, Bananen und Orangen. Letztere uebrigens heissen zwar so, sind aber erstens gruen und zweitens Mandarinen. Vielseitiger laesst sich eine Imbissverpflegung fuer europaeische Maegen kaum gestalten. Zwar gibt es allerortens frisches Obst und Gemuese, das Angebot beschraenkt sich aber auf die bisher genannten und einige weitere Fruechte wie Papaya, Granataepfel, Weintrauben, Gurken und Tomaten. Ausserdem findet man zwar allerorten eine Unmenge an kleinen Lebensmittel- und Gemischtwarenlaeden, aber auch deren Angebot (Kekse, Chips) ist nicht gerade vielseitig. Die Inder nehmen fuer ihre heimischen Bedarf zwar ein etwas breiteres Angebot in Anspruch, aber im Vergleich zu einem europaeischen Supermarkt bleibt die Palette - gerade angesichts der prinzipiell vorhandenen Fuelle an Einkaufsmoeglichkeiten - sehr schmal. Die indische Kueche erweist sich dennoch als erstaunlich vielseitig, was aus der Kombination der diversen Gemuese untereinander, verschiedenen Zubereitungsmethoden und dem virtuosen Umgang mit Gewuerzen (insbesondere natuerlich Chilli und Pfeffer ...) resultiert. Dies geniessen wir dann in der Regel abends, wobei Maria und Clara bzw. ihre Maegen sich von Curry-Zubereitungen und der obligatorischen Schaerfe weniger begeistert zeigen als ich und daher gern stattdessen eine Portion Spaghetti oder Gemuesereis verdruecken. Ich bin des indischen Essens bisher nicht ueberdruessig geworden und habe es im grossen und ganzen auch gut vertragen, muss es allerdings ja auch noch drei Wochen laenger aushalten.

Die Tage bestehen teils aus der Besichtigung diverser Tempel, Palaeste oder anderer touristischer Programmpunkte, z.B. kuerzlich eine Besichtigungstour einer Teefabrik und eines Gewuerzgartens, zum groesseren Teil aber aus Ausruhen (inkl. Lesen, Essen, Reiseplanung ...) von den Besichtigungs- und Reisestrapazen. Einen erheblichen Teil der Reise verbringen wir naemlich in diversen Verkehrsmitteln, was zum einen den indischen Entfernungen und Reisegeschwindigkeiten, zum anderen unserem doch relativ straffen Programm geschuldet ist. Im Schnitt verbringen wir zwei Naechte an einem Ort, manchmal drei, manchmal nur eine. In der letzten Woche sind wir z.B. sehr viel Bus gefahren, dazu mehr im naechsten Eintrag. Nach 3 bis 4 Stunden auf indischen Strassen plus Wartezeit vorher und Quartiersuche nachher ist mit uns und dem Tag jedenfalls nicht mehr viel anzufangen.

Bei unseren Nachtquartieren handelt es sich in der Regel um kleine private Gaestehaeuser oder Hotels der unteren Mittelklasse. Von der Ausstattung bedeutet das auf indisch i.d.R. ein Zimmer, in dem drei Leute geradeso ihren wichtigsten Kram ausbreiten koennen, ohne sich auf die Fuesse zu treten und eine Badzelle, die gleichzeitig als Dusche fungiert, mit mal mehr, mal weniger zielgerichteten, durchgehenden bzw. warmen Wasserstrahl. Dazu gibts meistens Handtuecher, selten ein Stueck Seife und noch seltener Klopapier. Dieses wird von Indern quasi nicht benutzt (jeder male sich selber aus, wie stattdessen zu Werke gegangen wird, ebensowenig finden Taschentuecher oder beim Essen BesteckVerwendung) und kann als Luxusartikel gelten (eine duenne Rolle kostet ca. 60Cent, mithin ein halbes Tagesdurchschnittseinkommen). Manchmal sind die Zimmer etwas schmuddelig (insbesondere Bettwaesche und Handtuecher erfuellen ueberhaupt nicht unsere gewohnt-makellose Vorstellung von "frisch gewaschen"), in den groesseren Staedten fast immer etwas laut, aber alles in allem waren wir bisher ganz zufrieden. Dabei spielte auch eine Rolle, dass wir uns bisher stets auf die Empfehlungen unserer Reisebibel "Lonely Planet" verlassen haben. Das mag zwar eine Prise Abenteuer beim Ausprobieren unbekannter Hotels vermissen lassen und in den gewaehlten Etablissements findet man dann auch fast nur seinesgleichen (mit Lonely Planet in der Hand...) wieder, aber in einem Land, in dem man ohnehin haeufig genug das Unerwartete erwarten muss, tut ein bisschen Verlaesslichkeit und Bequemlichkeit schon gut. Bisher haben wir uebrigens immer entweder ein Dreibettzimmer oder eine zusaetzliche Matratze bekommen, so dass die Reisegesellschaft auch nachts nicht auseinandergerissen :-) und das Budget geschont wurde. Ausgebucht waren die Quartiere bisher fast nie, so dass wir nur selten telefonisch vorbestellen, so wie ueberhaupt sehr vieles oder sehr viele hier uns alles andere als ausgelastet vorkommen. Aber das ist ein anderes Thema. Vielleicht lasse ich mich in naechster Zeit nochmal zu diesen und anderen einem Volkswirt auffallenden Unterschieden zwischen Europa und einem Entwicklungsland aus.

Sonntag, 11. März 2007

Bildergalerie II

in der Rikscha
darunter in Fahrtrichtung

weitere Bilduntertitel gibt es nicht, da Google bei der Programmierung der Einbettung von Bildern in Blogs klaeglich versagt hat und einfach nichts, i.e. Text und Bilder sinnvoll mischen, klappt wie es soll. Zu sehen sind ein paar glueckliche Urlauber, einige Strassenszenen, eine Illustration der Begegnungen "Weltwunder Weisse Frau" und ein Bild aus einer beeindruckenden rajasthanischen Tanzdarbietung








Freitag, 9. März 2007

Bildergalerie I


Alltag in Delhi
Das Marmor-Mausoleum fuer irgendeinen Maharadscha...
Krishna behuete sie

die vollkommen entspannte Reisegesellschaft in einem Jain-Tempel






Erste Sonnenstrahlen auf dem Fort von Jaisalmer
auf Kamelsafari














Blick von der Hostel-Terrasse in Udaipur











Recht der Geburt

Die Gespraeche mit unserem Fahrer Shyam spiegelten einige typische kulturelle Unterschiede wider. Er war stets freundlich und zuvorkommend, sein Englisch ermoeglichte grundlegende Verstaendigung, fuehrte aber auch staednig zu Missverstaendnissen. Seine Standardphrasen waren "No problem" und "yes, yes". Diese kann ziemlich zermuerbend werden, wenn man versucht, seine Wuensche zu erklaeren und wiederholt das Gefuehl hat, nicht verstanden zu werden. Es befriedigt ebensowenig, diese Worte auf offene Fragen zu Kultur, Familie, Fahrzeit etc. zu hoeren ... Aber ein Inder tut normalerweise nie so, als haette er etwas nicht verstanden und fragt nach. Ebensowenig kam es fuer Shyam in Frage, zuzugeben, dass er (was offensichtlich war) im Auto uebernachtete. Bei aller Zuvorkommenheit wird ausserdem das eigene Geschaeft nie aus den Augen gelassen. Zwar betonte er immer wieder, wir seien die Chefs und unser Wohl laege ihm am Herzen, versuchte aber doch, uns zu den Hotels zu lotsen, wo er die Besitzer kennt (und so Provision kassiert) und stand schweigend daneben, als ein "guter Freund" von ihm versuchte, uns das Doppelte fuer eine Kamelsafari abzuknoepfen, was angemessen war. Shyam gab uns ebenfalls wertvolle Einblicke in das quasi immernoch bestehende Kastensystem und das Patriarchat. Er betonte bei jeder moeglichen Gelegenheit, dass er aus der angesehenen Kaste der Rajputen sei. Wenn z. B. einige Frauen in einem Dorf eine Strassensperre errichtet hatten, um uns Touris 30Cent Wegzoll abzuknoepfen, sagte er, dass seinesgleichen so etwas nie taete. Rajputen uebernehmen ohenhin bessere und verantwortlichere Taetigkeiten als Angehoerige niederer Kasten. Selbstverstaendlich wird nur innerhalb der Kaste geheiratet, obwohl seine Kinder natuerlich alle Freiheiten geniessen (Tenor: "Meine Soehne wissen von allein, wo sie angemessene Frauen finden"). Gute, funktionierende Ehen koennen quasi nur aus von den Eltern arrangierten Hochzeiten resultieren, denn wie solle man sonst sicher sein, dass der/die Partner/in angemessen ist und die Mitgift nicht zur finanziellen Ueberforderung fuehrt. Und schliesslich haben es die Rajputen-Frauen ganz toll im Leben, denn sie muessen gar nicht arbeiten, sondern koennen sich den ganzen Tag bei Hausarbeit und Kindererziehung entspannen (Zitat!)

Man ist schnell versucht, diese tief verwurzelten Einstellungen mit seinem westlichen Selbstverstaendnis von individueller Freiheit und Selbstbestimmung zu kritisieren, droht dabei aber schnell in einen gewissen Kultur- oder Werterimperialismus zu verfallen. Werte - hier also z.B. wirtschaftliches Ueberleben und Bewahrung von Tradition einerseits, Selbstbestimmung der Frau und des einer niederen Kaste Angehoerenden andererseits - kann man meist nur relativ zueinander bewerten. Das indische System funktioniert eben und weder Arme noch Reiche, Maenner noch Frauen waeren bereit, wahrscheinlich selbst nicht bei voellig zwangloser anonymer Befragung, es aufzugeben.

Donnerstag, 8. März 2007

Durchs wilde Rajasthan

Die letzten Tage sind wir wie angekuendigt mit dem Auto durch Rajasthan gekurvt. Rajasthan gehoert zu den bekanntesten (touristischen) Provinzen Indiens, was aber weniger bedeutet, dass man sich vor anderen "Weissen" nicht retten koennte (tatsaechlich sieht man selbst nach Tagen am anderen Ende der Provinz die selben Gesichter wieder!), als eher, dass hier eine Ansammlung bezaubernder Orte der Entdeckung der europaeisch-touristischen Sinne harrt. Die ehemalige Herrscherkaste Rajasthans, die Rajputen, waren einst stolze Krieger (sie stellen wohl heute noch einen Grossteil der indischen Armee). Sie widersetzten sich mehr oder weniger erfolgreich sowohl den quasi allmaechtigen Mogulkaisern (das sind die mit dem Taj Mahal und dem Hofstaat im Gruenen Gewoelbe ...) als auch den britischen Kolonisatoren. Rajasthan bestand aus mehreren Fuerstentuemern, in denen sich die Maharadschas natuerlich gegenseitig mit Festungs- und Palastbauwerken zu uebertrumpfen suchten. Inzwischen sind die Maharadschas zwar "normale" Staatsbuerger, tun sich aber, zumindest wenn man ihren eigenen (in den nun zugaenglichen Palaesten aus allen Richtungen toenenden) Aussagen glauben darf, als Wohltaeter und Stifter hervor. Woraus zu folgen ist, dass sie ihr wie auch immer im Laufe der Jahrhunderte angehaeuftes Vermoegen nach ihrere Entmachtung behalten durften. Und selbstverstaendlich waren und sind sie alle sehr gerechte und vom Volk geliebte Herrscher. Naja, sei's drum.

Unsere Kurz-Rundreise begann in Jodhpur, dessen Stadtbild von einer beeindruckenden Rajputen-Festung beherrscht wird (Fotos kommen irgendwann auch mal wieder, aber es ist gar nicht so einfach, ein Internet-Cafe mit der entsprechenden technsichen Ausstattung zu annehmbaren Konditionen zu finden). Von dort ging es nach Jaisalmer - eine Stadt aus Tausendundeiner Nacht. Mitten in der Wueste Thar thront auf einem Huegel wie gemalt ein massiver, noch bewohnter Festungsbezirk aus dem Mittelalter. In der neueren Stadt finden sich Buergerhaeuser (Havelis genannt), die von in gelben Sandstein geschnitzte Verzierungen und Ornamenten ueberborden und Dresdner Sandsteinbauwerke arg grobschlaechtig wirken lassen. Ihren Reichtum verdankte Jaisalmer der exponierten Lage an der Karawanenroute von Indien nach Mittelasien. Nach einer obligatorischen Kamel-Sonnenuntergang-ueber-Sandduenen-Safari haben wir uns auf den Weg nach Udaipur in den Sueden Rajasthans gemacht, was erneut einen voelligen Kontrast bedeutete. Udaipur verstroemt einen Hauch von Venedig (obwohl ich da noch gar nicht war ...) oder vielleicht eher Lago Maggiore - eingebettet in eine Huegellandschaft, romantisch an den Ufern mehrerer Seen gelegen, die allerdings nicht mehr die saubersten sind, auch sonst der zweifelhafte Charme etwas verblichenen Glanzes. Auf dem Weg haben wir noch eine Nacht in einem abgelegenen und trotz Trockenzeit plus langjaehriger Trockenheit erstaunlich gruenen Tal verbracht. Wie wir erstaunt feststellten, war dies unsere erste Nacht ausserhalb von groesseren Staedten, die uns auch (zumindest geistig) entsprechend gut getan hat.

Nach zwei halben und einem (fast) ganzen Tag im Auto haben wir davon jetzt auch erst einmal wieder genug. Zu den schon erfolgten Schilderungen zum hiesigen Verkehrswesen gibt es nicht mehr so viel hinzuzufuegen. Die Strassenqualitaet ausserhalb der Ortschaften ist gar nicht mal so schlecht, allerdings laesst der asphaltierte Teil der Strasse haeufig nur einem (zweiachsigen) Fahrzeug Platz, so dass bei Gegenverkehr in Sand und Schotter ausgewichen werden muss. Ausserdem muss man jederzeit mit einem halbmetertiefen Schlagloch oder einer gemaechlich ueber die Strasse trottenden Kuh rechnen. Offiziell soll es zwar kein Tempolimit geben (meinte Shyam, unser Fahrer), Kontrollen schon gar nicht, aber die beschriebenen Restriktionen haben ein selbstgesetztes natuerliches Tempolimit von 80km/h zur Folge. Die tatsaechliche Reisegschwindigkeit ist natuerlich viel geringer, da in besiedelten Gegenden ja wieder das Gleichberechtigungsprinzip aller Verkehrsteilnehmer gilt (=Slalom um Menschen, Tiere und Fahrradfahrer) sowie dem Ruecksicht-ist-unnoetiger-Luxus-Prinzip folgend LKWs oder Bussen hinter ihnen fahrende und unverschaemterweise Ueberholen wollende Autos herzlich egal sind. Stoerend ist das nicht wirklich, schliesslich waere es unter den hiesigen Umstaenden wirklich zu viel verlangt und ein Zeichen von Arroganz, Sonderrechte auf der Strasse einzufordern, wenn man durch sein quasi europaeischen Standards genuegendes Verkehrsmittel ohnehin schon genuegend Privilegien geniesst und beim Durchfahren der Ortschaften zwangslaeufig zur Schau stellt. Insgesamt haben wir paradoxerweise gerade durch diese Privilegierung wahrscheinlich mehr vom Land gesehen als dies in Nachtzuegen oder ueberfuellten Bussen moeglich gewesen waere, auch wenn wir nicht wirklich in das indische Landleben eingetaucht sind.