Freitag, 6. April 2007

Die Heilige Stadt

Nein, ich bin nicht in Rom. Das mag fuer die christliche Welt DIE heilige Stadt sein, ist aber eben auch nur eine. Die Moslems haben ihr Mekka, die Hindus Varanasi und die Sikhs haben Amritsar. Die Sikhs sind die mit den Turbanen (dieser wird nicht von allen getragen, die zwischen Athen und Peking herumlaufen, ganz im Gegenteil), eine Religionsgemeinschaft, die sich im 16. Jahrhundert aus muslimischen und hindustischen Elementen ausgehend von Amritsar in Nordindien entwickelt hat. Vom Zusammengehoerigkeitsgefuehl, den Regeln, die sie befolgen, dem Hang zum Auswandern (daher wahrscheinlich unsere haeufigen Turbanassoziationen) und der Leidensgeschichte her sind die Sikhs ganz gut mit den Juden vergleichbar. Sie wurden quasi immer verfolgt. 1919 haben die Briten hier ohne Vorwarnung in eine friedlich demonstrierende Menschenmenge geschossen und ein paar hundert Inder zu Maertyrern gemacht - ein Schluesselereignis im indischen Unabhaengigkeitskampf (wer Attenboroughs "Gandhi" gesehen hat, erinnert sich vielleicht), an das mit einem patriotisch entsprechend dick aufgetragenen Mahnmal erinnert wird. Und erst 1984 hat die damalige indische Premierministerin Indira Gandhi Bestrebungen nach einem eigenen Sikh-Staat mit Panzern ueberrollen lassen. Was sie dabei nicht bedacht hatte, waren der legendaere Stolz und Kampfesmut der Sikhs, der ihnen im Laufe der Jahre ueberproportionale Bedeutung in der indischen Armee und auch in Gandhis Leibwache eingebracht hatte - kurz darauf fiel sie einem Attentat ihrer Leibwaechter zum Opfer.

Meine Erfahrung mit den Sikhs repraesentierte nun aber das voellige Gegenteil. Ich habe gestern die vielleicht ruhigsten und angenehmsten Stunden meiner Indienreise in der heiligen Stadt der Sikhs verbracht, genauer in ihrem zentralen Heiligtum, dem Goldenen Tempel. Der Tempel an sich ist relativ klein, wirkt aber schon durch die Rundumvergoldung bezaubernd. Er steht romantisch inmitten eines ca. 100x100m grossen Sees und wird von weissen Arkaden sowie einigen weiteren Hallen umgeben. In letzeren werden (kostenlos!) alle, die das wuenschen, verkoestigt und beherbergt. Den Tempelkomplex betritt man mit Kopfbedeckung (daher das mit den Turbanen) und barfuss mit frisch gewaschenen Fuessen, so dass man dann auf Marmor oder Teppich dahinspaziert, ohne dreckige Fuesse zu bekommen, was sich allein schon angenehm von den meisten Hindu-Tempeln unterscheidet. Im eigentlichen Tempel sitzen von 4 bis 22 Uhr Priester, die ununterbrochen aus der heiligen Schrift der Sikhs rezitieren oder singen, was - auf unindisch angenehme Art - per Lautsprecher in den ganzen Komplex uebertragen wird. Da es zudem keine Haendler oder anderes aufdringliches Personal gibt, herrscht eine spirituelle Atmosphaere, die mich voellig in ihren Bann zog und mich mehrere Stunden herumspazierend oder am Seeufer sitzend verweilen liess. Auch andere westliche Touristen habe ich seltsamerweise keinen einzigen gesehen, was das "spirituelle Erlebnis" noch verstaerkte.

Ebenso andere Traveller mit der Lupe suchen muss man in Dalhousie, meiner naechsten Station. Dalhousie ist eine der traditionellen, von den Briten gegruendeten Hill Stations im Himalaya-Vorland, allerdings weder in Bekanntheitsgrad noch in touristischer Infrastruktur oder gar Besucherzahl mit den Klassikern Darjeeling oder Shimla vergleichbar. Deshalb habe ich sie mir natuerlich auch ausgesucht :-), bin aber jetzt doch ueberrascht, als wie idyllisch Dalhousie sich erweist (allerdings beginnt die Saison hier auch erst Ende April). Der Ort liegt auf 2000m Hoehe auf zwei Seiten eines Bergrueckens mit jeweils toller Sicht auf die Umgebung, die ich auch vom Balkon (!) meines Hotelzimmers geniessen kann. Ausserhalb des Zentrums sieht man von einem Haus geradeso das naechste, die Hotels liegen zudem an einer Fussgaengerzone (!!!!) und es gibt genau ein Internet-Cafe - stets ein hervorragender Indikator fuer die Menge an Touristen. Hier werde ich es sicher ein paar Tage aushalten, etwas ausspannen, etwas wandern gehen, etwas Bloggen und mich dann nach einem Abstecher ueber das Dalai-Lama-Exil Dharamsala auf den Weg nach Delhi und nach Hause begeben.

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