Mittwoch, 4. April 2007

Nord und Sued

In den meisten Laendern oder auch Kontinenten gehoeren Nord-Sued-Unterschiede zu den gaengigsten kulturellen Stereotypen. Im Sueden geht es lockerer und ungezwungener zu, dabei etwas unorganisierter und improvisierter u.s.w.u.s.f. Sicherlich haben diese Klischees einen, wenn auch schwer wissenschaftlich zu isolierenden, wahren Kern. Zwei Wochen im Norden und einige Wochen im Sueden geben nun zwar kaum zu umfassenden Kulturstudien Anlass, aber einiges faellt eben doch ins Auge. Um wenigstens Gewoehnungseffekte auszuschliessen, habe ich mit meinem Urteil auf die Rueckkehr in den Norden gewartet.

Ja, auch fuer Indien gilt: der Sueden ist anders. Die Menschen sind nicht so gut angezogen wie im Norden (zumindest bei Maennern sind kurze Hosen nicht voellig Tabu, klassisches Outfit ist ein zum knielangen Rock gefaltetes Tuch) und weniger aggressiv in ihren Bemuehungen, den arglosen Touristen zum allerpreiswertesten Hotel oder den allerbesten Shop zu (ent)fuehren ("come my friend, very cheap, only looking, no charge"). Dass das Leben insgesamt lockerer ist und die Uhren langsamer ticken, hoert man zwar auch haeufig und ich empfand es tendenziell ebenso, an Fakten laesst sich dies aber kaum festmachen (siehe Einleitung...)

Es lassen sich aber auch weniger stereotypanfaelligere, handfestere Unterschiede finden. Die Menschen haben eine dunklere Haut, eigentlich schon schwarz, nur eben mit indoeuropaeischer Physiognomie. Die Unterschiede zwischen Sueden und Norden stehen denen zwischen Finnen und Sizilianern jedenfalls in nichts nach. Dann ist das Essen im Sueden weniger fettig, etwas schaerfer gewuerzt und reislastiger. Mir mundete es insgesamt besser, was nicht unbedingt an der Schaerfe lag. Wobei man sich auch an die erstaunlich schnell gewoehnt - viele touristenkompatible Gerichte, seien es milde indische oder westliche, kommen mir inzwischen dermassen lasch vor. Vielmehr haben es mir der hohe Anteil an frischem Seafood und die Reiszubereitungen, z.B. duenn gebackene, gefuellte Riesenfladen (Dosas) oder eigentlich nicht besonders appetitlich aussehende, aber dennoch leckere "zusammengepappte Reisklumpen" (Idlis) angetan. So bin ich sogar zum indischen Fruehstueck konvertiert, naja, zumindest jeden zweiten Tag.

Insgesamt fand ich den Sueden sympathischer, wobei allein die Bezeichnung "der" Sueden der Realitaet ueberhaupt nicht gerecht wird. Denn wie viel von diesem riesigen Land habe ich schon gesehen? Indiens Leben und Kultur entziehen sich einer eindeutigen Charakterisierung, weil es nicht nur ein Indien gibt, sondern das Land, eigentlich ja ein halber oder zumindest Sub-Kontinent, eine Vielzahl Reiche, Voelker, Sprachen und Religionen hervorgebracht hat. Wir moderne Turbo-Reisende sehen nun in kurzer Zeit verschiedene Regionen Indiens, die frueher teilweise kaum Kontakt hatten, zumindest aber ganze Reisemonate auseinanderlagen. Selbst heute noch haben die meisten Inder ihren Bundesstaat nie verlassen (A.d.R.: Ist das in den USA anders?)

Die Gegenden, die ich im Sueden besucht habe, fand ich jedenfalls landschaftlich reizvoller und mehr zu Erholung angetan (Strand, Berge, Backwaters von Kerala, fruehkoloniale Ueberbleibsel). "Der" Norden, will heissen, Delhi, Agra und Rajasthan, boten dafuer mehr touristisch Interessantes in Form zahlreicher Tausendundeiner Nacht oder Fantasy-Romanen entliehene Sehenswuerdigkeiten. Die Weiterrreise in die Auslaeufer des Himalya wird diese ohnehin holzschnittartige Eindruecke aber sicherlich noch verzerren.

Klimatisch unterscheiden sich Norden und Sueden definitv auch, bei geschatzten 2000km Ausdehung und 0 bis 1000km Entfernung vom Meer ja auch kein Wunder. Die Rueckkehr nach Delhi mit seinen trockenen 32-35 Grad empfand ich im Vergleich zum schwuelen Sueden jedenfalls als Erholung und die Abende, an denen man es im T-Shirt gerade noch so aushaelt, schon fast als zu kuehl. Unsere erstaunliche Faehigkeit, sich an andere Umstaende zu gewoehnen, war ueberhaupt das Spannendste an meiner Rueckkehr nach Delhi. Ich bin im selben Viertel wie "damals" (vor reichlich 5 Wochen) eingekehrt und finde mich nicht mehr in einem unbeschreibliches Chaos, sondern einer voellig gewoehnlichen indischen Stadt
wieder. Meine Billigherberge kommt mir vor wie eine Mittelklassehotel an der Grenze zur Dekadenz. Und dass ich an einem Tag erfolgreich Zugtickets kaufte, einen Anzug bestellte, einige Laeden fuer den Vorabreisetag auskundschaftete und noch zwei Sehenswuerdigkeiten besuchte, kommt mir schier unglaublich produktiv vor. Zudem fuehle ich mich wie bei der Rueckkehr in die Heimatstadt meiner Kindheit 20 Jahren spaeter. Vieles ist angenehm vertraut und ich fand den Friseur um die Ecke und unsere Lieblings-Dachterrasse quasi blind, obgleich die Tage nach der Ankunft mir unendlich lange her zu sein scheinen.

2 Kommentare:

C hat gesagt…

Mit deinem Hintergrund hatte ich mir in diesem Post eigentlich einige Infos zum wirtschaftlichen Unterschied zwischen den beiden Teilen Indiens erhofft :) Ein typisches nord-süd Gefälle kennt man ja schon aus Italien... ließ sich ähnliches auch für Indien feststellen?
Und dann sei noch meine Frage erlaubt: wozu brauchtest du als Touri in Indien einen Anzug??? Oder bist du doch in verdeckter Mission unterwegs... ;-)

Robert hat gesagt…

Zu wirtschaftlichen Themen ist noch ein Post in Vorbereitung ... Aber davon abgesehen, ein oekonomisches Nord-Sued-Gefaelle konnte ich nicht beobachten, dafuer ein deutliches zwischen Mumbai und dem Rest des Landes. Und den Anzug kaufe ich ganz profan fuer zu Hause, ist hier eben nur etwas guenstiger :-)