Donnerstag, 1. März 2007

Das Leben der Anderen

Dass zwischen Indien und Europa kulturelle Welten liegen, ist keine besonders originelle Feststellung. Aber diese Unterschiede selbst zu erleben, ist doch noch einmal etwas ganz anderes. Von solchen plakativen Dingen wie scharfem Essen und bunten Saris abgesehen, hat uns anfangs wie schon beschrieben das etwas unverbindliche Verhaeltnis zwischen Wort und Tat mit Kopfschuetteln erfuellt. Ebenfalls auffaellig ist der - selbst im Vergleich zu uns in dieser Hinsicht schon nicht gerade zimperlichen Deutschen (im Vergleich mit den Franzosen z.B.) - Mangel an Ruecksicht und Intimdistanz. Vielleicht haengt das damit zusammen, dass Ellbogen fuer das Ueberleben in einer Grossstadt der Dritten Welt notwendig sind bzw. sich in Indien einfach unglaublich viele Menschen auf einen Haufen finden. Nur erklaert das noch nicht die Lautstaerke, mit der die Inder sich gleichzeitig staendig bemerkbar machen. Man wird jedenfalls nach feinster Berliner-U-Bahn-Manier ueberall angeschubst und gestossen. Wenn man am Bahnhofsschalter der Verkaeuferin gegenuebersitzt, freundlich laechelt und geduldig wartet, dass sie von ihrer gerade ausgefuehrten Geldzaehltaetigkeit aufblickt, kann man sicher sein, dass sich nach einigen Sekunden jemand an einem vorbei draengelt (obwohl offensichtlich ist, dass man selbst nicht zum Spass da am Schalter steht), die Dame laut anspricht und auch prompt bedient wird. Ebenso unvorstellbar waere bei uns folgende Szene: Gegen Mitternacht befinden sich etwa 20 Menschen, zur Haelfte doesend, zur Haelfte schlafend, in einem Bahhnhofs-Wartesaal. Fuenf Maenner betreten laermend den Raum, machen es sich auf Zeitungen auf dem Fussboden bequem und beginnen, untermalt von regelmaessigen Lachanfaellen und Hintergrundmusik, Karten zu spielen. So gehoeren geistig eine gewisse Gleichgueltigkeit und koerperlich ein Paar Ohrstoepsel zur Grundausstattung. Ob im Hotel, auf der Strasse oder im Zug, ob tags oder nachts - mit Ruhe und Ruecksichtnahme kann man einfach nie rechnen, muss sich andererseits natuerlich auch selbst darum nicht scheren.

Die Reizueberflutung aus Laerm, unfreiwilligen Koerper- und Gespraechskontakten und staendigen Menschenmassen, allerlei Geruechen und Dreck machen den Aufenthalt in der indischen Grossstadt ein zu einem zweifelhaften Vergnuegen. Andererseits faszinieren am indischen Leben auch gerade Lebendigkeit, Vielfalt, Farbenfreude und die ausserordentliche Selbstorganisationsfaehigkeit dieses Chaos. Vieles laesst sich mit einem Laecheln auf dem Lippen ertragen - gerade, wenn man nicht dringend irgendelche Termine einzuhalten hat oder sich fragen muss, wie man wohl sein Abendessen bezahlen kann.

Zumindest zweiteres ist der Alltag fuer die meisten Inder, von dem wir zugegebenermassen kaum etwas mitbekommen. Wir hangeln und von einer Lonely-Planet-Location zur naechsten, wohnen und essen also an Plaetzen, die fast ausschliesslich von Touristen bevoelkert werden. Ich wuerde unser Leben zwar nicht gerade als dekadent bezeichnen - die Unterkuenfte sind eher untere Kategorie und wir bewegen uns mit gaengigen Verkehrsmitteln in sehr indischen Vierteln fort (Stichwort: Motor-Rikscha).Wenn man aber auf der sonnigen Dachterrasse sitzt und fuer umgerechnet 1 EUR das touristengerecht gewuezte Curry verdrueckt oder einen Kaffee fuer 30Cent schluerft, scheint das Leben der Anderen, der pulsierende indische Alltag auf der unter einem liegenden Strasse, wo unsere gerade getaetige Ausgabe einem Tagesverdienst entspricht, doch Welten entfernt. Von dem eigentlichen indischen Alltag in den Slums und auf dem Lande ganz zu schweigen. Tiefer in diesen Alltag einzutauchen, waere vielleicht authentischer, sicherlich auch preiswerter, scheint uns aber fuer unsere zivilisatorischen Ansprueche an Sicherheit, Hygiene und Verdauung einfach zu unsicher.

Ein letztes zu den Unterschieden zwischen Indern und Europaeern: Die Hautfarbe. Klingt auch nicht so originell. Dieser Unterschied ermoeglicht, verstaerkt durch das meist ebenso unverwechselbare Aeussere, eine sofortige Identifizierung der Herkunft. Trotz der zahlreichen vorhandenen Budget-Unterkuenfte und Lonely-Planet-Touristen sind wir Weisse hier in einer angenehmen Minderheit. Selbst an Touristenatrraktionen, inden Strassen sowieso, sind wir echte Exoten und werden mitunter angestarrt, als waren wir die ersten Weissen, die zu einem entfernten Stamm in Papua Neuguinea vorstossen. Gleichzeitig scheinen wir, also ich meine natuerlich meine beiden reizenden Mitreisenden, mit der hellen Haut dem hiesigen Schoenheitsideal zu entsprechen.(wir sehen das kurioserweise genau unmgekehrt ...) Das muendete schon in Dutzenden Fototerminen mit Indern jeden Alters, fuer die es kaum ein triumphaleres Urlaubsmitbringsel als eine entsprechende Fotografie zu geben scheint. Waehrend dies irgendwie ganz witzig ist, kann es umgekehrt ziemlich belasten, wenn man im Vorhof einer Moschee von allen Seiten angestarrt und diskriminierend behandelt wird. Als gaebe es keine weissen Muslime...

1 Kommentar:

Andreas hat gesagt…

Ich hab's geschafft. Nicht nur, dass ich endlich alle posts gelesen habe, dank Deiner neuen Fotos kenne ich jetzt auch die komplette Reisegruppe. Das war mir irgendwie vor Deiner Abfahrt nicht so ganz klar.

Grüße aus der Heimat.

Andreas