Freitag, 9. März 2007

Recht der Geburt

Die Gespraeche mit unserem Fahrer Shyam spiegelten einige typische kulturelle Unterschiede wider. Er war stets freundlich und zuvorkommend, sein Englisch ermoeglichte grundlegende Verstaendigung, fuehrte aber auch staednig zu Missverstaendnissen. Seine Standardphrasen waren "No problem" und "yes, yes". Diese kann ziemlich zermuerbend werden, wenn man versucht, seine Wuensche zu erklaeren und wiederholt das Gefuehl hat, nicht verstanden zu werden. Es befriedigt ebensowenig, diese Worte auf offene Fragen zu Kultur, Familie, Fahrzeit etc. zu hoeren ... Aber ein Inder tut normalerweise nie so, als haette er etwas nicht verstanden und fragt nach. Ebensowenig kam es fuer Shyam in Frage, zuzugeben, dass er (was offensichtlich war) im Auto uebernachtete. Bei aller Zuvorkommenheit wird ausserdem das eigene Geschaeft nie aus den Augen gelassen. Zwar betonte er immer wieder, wir seien die Chefs und unser Wohl laege ihm am Herzen, versuchte aber doch, uns zu den Hotels zu lotsen, wo er die Besitzer kennt (und so Provision kassiert) und stand schweigend daneben, als ein "guter Freund" von ihm versuchte, uns das Doppelte fuer eine Kamelsafari abzuknoepfen, was angemessen war. Shyam gab uns ebenfalls wertvolle Einblicke in das quasi immernoch bestehende Kastensystem und das Patriarchat. Er betonte bei jeder moeglichen Gelegenheit, dass er aus der angesehenen Kaste der Rajputen sei. Wenn z. B. einige Frauen in einem Dorf eine Strassensperre errichtet hatten, um uns Touris 30Cent Wegzoll abzuknoepfen, sagte er, dass seinesgleichen so etwas nie taete. Rajputen uebernehmen ohenhin bessere und verantwortlichere Taetigkeiten als Angehoerige niederer Kasten. Selbstverstaendlich wird nur innerhalb der Kaste geheiratet, obwohl seine Kinder natuerlich alle Freiheiten geniessen (Tenor: "Meine Soehne wissen von allein, wo sie angemessene Frauen finden"). Gute, funktionierende Ehen koennen quasi nur aus von den Eltern arrangierten Hochzeiten resultieren, denn wie solle man sonst sicher sein, dass der/die Partner/in angemessen ist und die Mitgift nicht zur finanziellen Ueberforderung fuehrt. Und schliesslich haben es die Rajputen-Frauen ganz toll im Leben, denn sie muessen gar nicht arbeiten, sondern koennen sich den ganzen Tag bei Hausarbeit und Kindererziehung entspannen (Zitat!)

Man ist schnell versucht, diese tief verwurzelten Einstellungen mit seinem westlichen Selbstverstaendnis von individueller Freiheit und Selbstbestimmung zu kritisieren, droht dabei aber schnell in einen gewissen Kultur- oder Werterimperialismus zu verfallen. Werte - hier also z.B. wirtschaftliches Ueberleben und Bewahrung von Tradition einerseits, Selbstbestimmung der Frau und des einer niederen Kaste Angehoerenden andererseits - kann man meist nur relativ zueinander bewerten. Das indische System funktioniert eben und weder Arme noch Reiche, Maenner noch Frauen waeren bereit, wahrscheinlich selbst nicht bei voellig zwangloser anonymer Befragung, es aufzugeben.

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