Samstag, 3. März 2007

Im Indien-Express

Die ausladenden interkulturellen Reflexionen sollen heute auch mal mit ein paar Fakten gewuerzt werden. Aber davor gehoert eine Einfuehrung in die Geheimnisse der indischen Eisenbahn, die hier das guenstigste Verkehrsmittel darstellt, um mittlere Entfernungen zurueckzulegen. Das Netz gehoert zu den ausgedehntesten der Welt (noch ein paar Superlative fuer die Fans von "nutzlosem Wissen": Indian Railways ist mit 1,6Mio Angestellten auch der weltgroesste Arbeitgeber und transportiert jaehrlich 6 Milliarden Passagiere!), woran man sieht, dass die englischen Herrscher ihre Kolonisation auch in dieser Hinsicht durchaus ernst genommen haben. Natuerlich ist das Netz hoffnungslos ueberaltert und ueberlastet, die Zuege fahren bis auf wenige Ausnahmen nicht schneller als ein Bus (also um die 50-60km/h...), aber das Reisen ist bequemer und sicherer und man kann oder muss zum Teil vorher reservieren (was sogar funktioniert!).
Das ganze System erscheint ziemlich undurchsichtig, es gibt um die 10 verschiedene Klassen, die sich u.a. durch Klimatisierung/ohne Klim. oder Reservierungspflicht/ohne Res. unterscheiden. Natuerlich gibt es nicht alle Klassen in allen Zuegen und fuer alle bsondere Abkuerzungen. Waere ja sonst auch zu einfach. Darueber hinaus hat jeder Zug noch eine Bezeichnung, einen Namen und eine Nummer, die anscheinend willkuerlich vergeben werden, aber fuer die Durchfuehrung einer Reservierung natuerlich alle drei essentiell sind.

Guenstige Tickets sind angeblich haeufig auf Wochen vorher ausgebucht, bei Preisen von 1,50 EUR fuer 1000km auch kein Wunder. Allerdings reist man dafuer dann auch in einem Wagen, der in Besetzungsdichte, Bequemlichkeit und Geruchsbelastung am ehesten einer Legebatterie gleicht. Wir wollten uns zumindest Minimalkomfort goennen (gerade fuer Uebernachtfahrten) und entschieden und fuer eine niedrige Unterklasse der ersten Klasse, die mind. 10mal so viel kostet, was ja immernoch nicht die Welt fuer uns ist.

Nach erfolgreicher Auswahl eines Wunsch-Zuges wartet der naechste Schock am Bahnhof. Diese gleichen einem Huehenerstall, Schlangen vor den Schaltern gibt es zu praktisch allen Tageszeiten. Wir profitieren jedoch von speziellen Touristenschaltern und -kontingenten - zumindest wenn man sich an den zahlreichen hilfsbereiten Indern, die einem zum anderen Ende des Bahnhofs lotsen will, vorbeigekaempft bzw. dem etwas unwirsch-buerokratischen Angestellten anhand des natuerlich fehlerhaft ausgefuellten Reservierungsantrags sein Anliegen begreiflich gemacht hat. Wir sind schliesslich am Dienstagmorgen (27.2.) in einem Super-Express (zwischenzeitlich schwindlige 140km/h) von Delhi nach Agra gefahren, der praktisch nur von Geschaeftsleuten und Touristen benutzt wird und deutschem 2.-Klasse-Standard entsprach - wie beim Fliegen sogar inklusive Verpflegung und zudem puenktlich!

Von Agra sollte es dann am Mittwochabend (28.2.) im Nachtzug gen Westen nach Jodhpur in der Provinz Rajasthan gehen. Planmaessige Abfahrt war 19:30, am Bahnhof gruesste uns aber schon eine Meldung "5h Verspaetung" von der Anzeigetafel. Nun gibt es angenehmeres, als 5h bis nachts um 1 auf dem Bahnhof zu warten, in Europa gaebe es wahrscheinlich einen Volksaufstand oder zumindest eine Beschwerdeflut. Hier stoert sich daran niemand. Was bedeutet schon Zeit? Was nicht heute wird, wird morgen. Wir hatten ja nun auch keine dringenden Termine zu verpassen, so dass wir die Wartezeit ueber das diffuse Gefuehl des Ordnung gewohnten Zivilisationsverwoehnten "Das koennen die doch nicht machen" hinaus stoisch ertragen haben. Wir hatten sogar Sitzplaetze im 1.Klasse-Warteraum, die meisten Mitpassagiere sassen und lagen kreuz und quer. Die Bahnhofshalle verwandelte sich spaeter in einen Schlafsaal. Aus 5h wurden schliesslich 9h - angesagt per zermuerbender Salamitaktik (immer 1/2h mehr...) Immerhin gab es fur uns diese Ansagen. Als Passagier im Zug kann man hingegen nur schauen und hoffen, ob man doch noch irgendwann ankommt oder der Zug vielleicht nach Sibirien umgeleitet wurde. So ging es uns dann auch, als wir uns im Morgengrauen endlich in Fahrt gesetzt hatten. Es blieb schliesslich bei der Verspaetung und wir landeten 11 weitere Stunden spaeter heil in Jodhpur. Schlafen konnte man im Zug am Ende sogar ganz gut, zumindest habe ich schlimmere Nachtfahrten in Erinnerung.

In Jodhpur sind wir nun drei Tage geblieben. Erstens hatten wir uns auf unserer Touristenroute durch Nordindien eine Verschnaupause verdient, zweitens ist es eine reizende Stadt mit einer imposanten Festung inkl. Maharadscha-Palast und drittens haben wir das bisher in Sachen Charakter, Sauberkeit und Service angenehmste Hotel erwischt. Leider sind wir alle gesundheitlich nicht ganz auf der Hoehe. Clara und Maria plagen die ueblichen Verdaueungsprobleme (allerdings nicht in beaengstigender Form), ich habe mir irgendwo zwischen offener Rikscha und allgegenwaertigen Ventilatoren eine heftige Erkaeltung eingefangen. Aber das wird schon wieder.

Morgen gehts dann weiter. Da Zugfahren in Rajasthan noch etwas langsamer und abenteuerlicher als in Indien ohnehin schon ist, haben wir uns ein Auto mit Fahrer gemietet, der uns die naechsten 4 Tage begleitet. Das klingt ziemlich dekadent, lohnt sich aber bei drei Leuten fast schon finanziell, auf jeden Fall aber organisatorisch. Im Rahmen unseres fuer indische Verhaeltnise doch arg begrenzten Zeitbudgets ermoeglicht es (hoffentlich) etwas zuverlaessigeres Reisen und einige individuelle Stops zwischen den grossen Staedten.

2 Kommentare:

Friedi hat gesagt…

Hallo ihr drei,liebe Grüße aus München,habe gerade,nachdem mir Liese eure Seite durchgegeben hat (irgednwie ist bei mir keine Mail mit den Infos angekommen?!)die Berichte gelesen und bin ganz begeistert,was ihr so erlebt,auch wenns sicher nicht immer leicht ist,hier ist alles beim alten,hoffe,euch gehts wieder gesundheitlich besser,liebe Grüße von Friedi
PS:das ist ja gar nicht so einfach,euch Post zu schicken

Robert hat gesagt…

Dein Mail-Account hatte an meiner Info-Mail leider irgendetwas auszusetzen. Aber der Link ist ja auch so noch recht zuegig zu dir gelangt.