Sonntag, 25. März 2007

Der Berg ruft

Um dem im Sommer fuer die europaeische Konstitution nur schwer ertraeglichen indischen Klima zu entfliehen, kamen die englischen Kolonisatoren seinerzeit auf die glorreiche Idee der "Hill Stations" - Orte in den Bergen, die aehnlich den Retorten-Skistationen in den Alpen aus rein touristischen bzw. Wohlfuehlmotiven ausgebaut wurden. Ich habe mich nun, ebenfalls etwas Abkuehlung suchend, auf die Spuren der Gentlemen begeben und dafuer die beliebteste Hill Station Suedindiens ausgesucht (die bekannteste ueberhaupt ist wahrscheinlich Darjeeling in Nordostindien), welche den klangvollen Namen Udagamandalam traegt, aber zur Vereinfachung (auch auf Strassenschildern etc) nur Oooty genannt wird. Der Ort liegt immerhin auf 2200m Hoehe - allerdings nicht in einer alpinen Hochgebirgslandschaft, sondern einem eher unserer Heimat aehnelnden huegeligen Umgebung mit einigen Waeldern und viel Grasland. Die Hoehe bedingt ein sehr angenehmes Klima. Die Temperaturen gehen nie unter Null und nie ueber 30 Grad, zurzeit war es nach mitteleuropaeischen Massstab spaetsommerlich - gerade so, dass man im Schatten nicht friert und man sich abends etwas ueberziehen muss. Fuer die Inder ist das natuerlich erbaermlich kalt, so dass die Hauptsaison in Ooty erst im April beginnt. Fuer die Inder sind die Hill Stations heute beliebte Hochzeits-Reise-Ziele - so erklaert sich auch eine, mir anfangs voellig schleierhafte, unglaubliche Ansammlung an Blumen- und Juwelierlaeden vor Ort. Wahrscheinlich muss der Liebe in den zahlreichen arrangierten Ehen anfangs etwas auf die Spruenge geholfen werden...

Ich habe den Aufenthalt mangels Wunsch-Ehepartnerin fuer eine Wanderung und einige Spaziergaenge durch die Umgebung genutzt. Schnell bemerkte ich dabei einen wesentlichen Unterschied zum gefuehlten europaeischen Spaetsommer: naemlich die Sonne, welche zwischen 10 und 16 Uhr praktisch senkrecht vom Himmel brennt. Verstaerkt durch die Hoehenlage, konnte 4x taeglich LSF 20 eine Verfaerbung von haselnussbraun in indianerrotbraun nicht verhindern. Dafuer brauche ich jetzt nach erfolgtem Uebergang ins Kakaobraun im Flachland ueberhaupt keinen kuenstlichen Schutz mehr.

Der Ort Ooty hat sich zwar inzwischen zu einer typischen indischen Stadt entwickelt, laesst aber in einigem noch den Charme vergangener Zeiten verspueren. So gibt es elegante viktorianische Bungalows, abgetrennte Buergersteige (in Indien sonst nie gesehen!), eine ausgewachsene Pferderennbahn, einen kuenstlichen See, eine leicht geschrumpfte Westminster Abbey, einige renommierte Privatschulen und einen wunderbaren Botanischen Garten. Dieser wartet mit zahlreichen exoptischsten Baumarten auf (in dem Klima waechst ja auch fast alles) und ist darueber hinaus eher Volkspark sowie Hochzeitsfotohintergrund, gehoert vor allem aber zum geflegtesten und saubersten, was ich in Indien bisher (und ueberhaupt!) gesehen habe.

Das beste an Ooty ist aber wahrscheinlich die Anreise. Mit dem Ziel maximaler Bequemlichkeit haben die Englaender mit eidgenoessich-technischer Unterstuetzung eine 45 km lange Schmalspurbahn verlegt. Eine gute, alte Dampflokomotive schiebt in 5h, teilweise in Quasi-Schrittgeschwindigkeit, den Blue Mountain Train den Berg hinauf und ueberwindet dabei beachtliche 1800 Hoehenmeter. Als waere das nicht schon abenteuerlich genug, werden - zumindest war das auf meiner Fahrt so - gern noch einige Ereigniskarten gezogen. So wurde der Zug von einem (wilden) Elefanten aufgehalten, der erst nach mehrmaligen Tuten sowie Vor-und Zurueckrollen vom Verlassen der Gleise ueberzeugt werden konnte. Einige Minuten spaeter brachte Rauchentwicklung auf einer Bruecke den Zug zum Stehen. Offenbar hatte ein Buschfeuer die Eisenbahnschwellen in Brand gesetzt. Nun, nichts leichter als das. Die indischen Zugbegleiter loeschten das Ganze mit ein paar Wassereimern und zogen auch noch eine neue Holzbohle aus dem Aermel, die dann vor unseren erstaunten Augen in die Strecke eingesetzt wurde. Solche Reparaturen scheinen, nach der fuer indische Verhaeltnisse ziemlich unaufgeregten Problem- Loesung und der trotzdem nach fahrplanmaessigen Ankunft zu urteilen, reine Routine zu sein.

Die Rueckfahrt ins Flachland stellte dann wieder eine indien-typische Erfahrung dar. Aus 3 Stunden Busfahrt wurden 5 1/2h, nicht aber wegen unvorgesehener Zwischenfaelle, sondern weil der wohlinformierte Angestellte des privaten Busbueros wieder einmal ein sehr weit gedehntes Verstaendnis von Aufrichtigkeit hatte sowie der Busfahrer vor der Abfahrt noch einige Freunde an das andere Ende der Stadt bringen zu muessen glaubte. Dies ist einer der kulturellen Differenzen, mit denen ich am wenigsten klarkomme. Mit zweieinhalb Stunden Verspaetung habe ich kein grosses Problem. Erstens bin ich selbst selten puenktlich, zweitens in Indien und drittens im Urlaub, aber ich erwarte instinktiv, dass man mich so weit moeglich darueber informiert. Man kann den Indern nun schwerlich Verlogenheit oder Gaunerei vorwerfen, denn im Prinzip ist ja in etwa immer alles fast so aehnlich wie sie es sagen. Die Inder wachsen damit auf und finden das auch voellig normal. Aber sie machen sich das Leben damit auch selbst schwer, weil sie sich aufeinander bzw. auf Verlautbarungen aller Art kaum verlassen koennen und so regelmaessig Zeit mit Warten und planlosem Rumsitzen verbringen.

Die Fahrt an sich war wiederum ein Highlight. Sie fuehrte eine mit Haarnadelkurven gespickte Strasse steil den Berg hinunter, die fuer normale Busse und LKWs gesperrt ist - und das in Indien, wo sich um so was sonst ueberhaupt keiner schert - das sagt schon einiges. Fein durch nummerierte Serpentinen qualifizierten die Strasse dann endgueltig zu einer Alpe-d'Huez-Alternative (Sorry Outsider). Den heutigen Tag habe ich in Mysore vrbracht, einer netten Provinzstadt (also nur so um die 800.000 Einwohner), deren Hauptattraktion ein um 1900 gebauter Maharadschapalast darstellt - eine fuer den Verstand unertraegliche, fuer die Augen aber doch ganz nette Mischung aus Tausendundeiner Nacht, Jugendstil und Hollywood. Morgen gehts dann zurueck an die Kueste in das indische Ur-Strandparadies Goa.

Keine Kommentare: